Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
unangenehme Erinnerungen hervor, die sie versuchte, möglichst aus ihrem Kopf zu verdrängen. Da nun Janus an ihrer Seite weilte, brauchte sie ohnehin nichts mehr befürchten. Sollte Rabanus auch nur ein einziges Mal versuchen, sie anzugreifen, würde er seine Schwester gewiss mit Nachdruck verteidigen. Janus’ Begleiter schien ebenfalls ein anständiger junger Mann zu sein, der Skiria mit Respekt behandelte und in dessen Gegenwart sie sich sicher fühlte.
Um ihr Gelegenheit zu geben, sich von den Strapazen der letzten Tage und Wochen zu erholen, verkniff sich Janus, nach den zurückliegenden Ereignissen zu fragen, sondern ließ ihr genügend Zeit, um alles Geschehene zu verarbeiten.
Am Abend, als sie am Feuer saßen, reichte Rabanus die Drachenzähne reihum und genoss die bewundernden Blicke. Während Skiria zusammengesunken und schweigsam vor den prasselnden Flammen saß, sprach Janus dem Hünen seinen Dank aus, dass er Skiria vor den Drachen gerettet hatte und verfluchte schließlich mit herben Aussprüchen sämtliche geschuppten Ungeheuer dieses Landes. Skiria zuckte zusammen, als schmerzten sie seine Worte sehr. Doch es war ein ungeeigneter Zeitpunkt für eine Widerrede. Janus empfand scheinbar starken Hass. Wer wollte ihm das auch übel nehmen? Zuerst der Vater, der von einem Drachen entführt wurde, dann auch beinahe noch die Schwester. Keinesfalls brächte er jetzt Verständnis dafür auf, wenn Skiria ihm mitteilte, dass die Riesenechsen in Wirklichkeit dem Menschen freundlich gesinnte Tiere seien. Sie beschloss, abzuwarten, bis seine Wut etwas verraucht war, um ihm später schonend die Wahrheit beizubringen.
Am nächsten Tag tuschelten Janus und Irian miteinander. Schließlich nickte Irian und bedeutete Janus, seine Schwester einzuweihen. Als bereite ihm sein Auftrag besondere Freude, trat er vor Skiria und verkündete: „Wir werden dir erst einmal ein neues Kleid besorgen. Dieses hier ist kaum mehr als ein Fetzen. Nicht gerade geeignet für’s Gebirge.“
Verwundert runzelte Skiria die Stirn und vermutete, es handele sich um einen der Scherze, die ihr Bruder gerne mit ihr trieb.
Rabanus, der seine Worte ebenfalls vernommen hatte, sprach ihre Gedanken aus: „Wo willst du denn hier im Wald ein Gewand auftreiben?“
„Das lass’ nur meine Sorge sein“, speiste ihn Janus leichthin ab und machte ein Zeichen, dass alle ihm folgen sollten.
Agata rümpfte die Nase, denn sie verspürte wenig Lust, nach Janus’ Pfeife zu tanzen, doch als Rabanus lautstark protestierte, setzte sie sich kurzentschlossen in Bewegung. Karol, der Janus und Irian nur zu gerne als Anführer akzeptierte, hatte sich bereits zu den beiden gesellt. Erst wirkte es, als wolle Rabanus allein zurück bleiben, doch schließlich schloss er sich ihnen widerstrebend an, wohl auch um zu sehen, wie die beiden Freunde es bewerkstelligen wollten, Skiria neu einzukleiden.
Sie erreichten das Haus des Waldhüters gegen Mittag. Diesmal pochten sie laut an die Tür und riefen ihre Namen, damit er sie nicht wieder für Eindringlinge hielt. Schließlich öffnete Ottla.
„Ihr seid zurückgekehrt!“, stellte er verwundert fest.
„Ja, und wir haben unsere Kameraden mitgebracht“, erwiderte Janus. „Und meine Schwester.“
Skiria nickte dem kauzigen Mann freundlich zu und knickste höflich, sodass ihre bloßen Knie unter dem zerschlissenen Stoff hervorblitzten.
„Ob ich eine so große Mannschaft bewirten kann, weiß ich noch nicht. Aber ich will mein Bestes versuchen“, versprach Ottla und wanderte in Gedanken bereits seine Vorratskammer ab.
„Nein, nein!“, widersprach Irian schnell. „Wir sind nicht wegen deiner Speisen gekommen.“
Gespannt wartete der Waldhüter darauf, dass seine Besucher ihn aufklärten. Sie erzählten ihm von Skiria und ihrer kaputten Kleidung und von der geplanten Reise über die Berge. Bald ahnte Ottla, welches Anliegen die Drachentöter hierher geführt hatte. Lächelnd winkte er sie in die Stube.
„Lasst mich sehen!“, murmelte er und verschwand im Nebenzimmer, um kurz darauf mit mehreren Gewändern beladen zurückzukehren.
„Es sind allesamt Wintersachen, die meine Frau in den Dörfern verkaufen wollte.“
Skiria staunte, dass in der ärmlichen Hütte eine solche Anzahl wunderschöner Kleider lagerte und entschied sich spontan für ein dunkelgrünes aus Leinen. Als Beigabe reichte der Waldhüter ein wollenes, braunes Tuch, das die Haut über dem eckigen Ausschnitt wärmen sollte.
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