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Sklaven der Begierde

Sklaven der Begierde

Titel: Sklaven der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Reisz
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Kapelle. Der kopfsteingepflasterte Weg wand sich zwischen Rosensträuchern hindurch, an denen jetzt zahllose rote Blüten prangten. Der Garten war Father Henrys ganzer Stolz. Zu Recht, denn es machte viel Arbeit, die Blumen in einem derart rauen Klima am Leben zu erhalten. In jeder freien Minute war Father Henry damit beschäftigt.
    „Mein Garten ist mein Gethsemane“, pflegte er zu scherzen, und Kingsley lächelte jedes Mal höflich, obwohl er den Witz nie verstand. Falls es denn ein Witz war.
    Er war heute hergekommen, um dem Tohuwabohu im Schlafsaal zu entrinnen. Mit dem Sommer näherte sich das Ende des Schuljahrs, und die Jungen drehten völlig durch. Das wilde Treiben war sogar Kingsley zu viel. Seine Mitschüler konnten es kaum noch erwarten, bis ihre Eltern sie aus dem Exil befreiten und in eine Welt zurückholten, in der es Mädchen gab und Kinos und in der man morgens so lange schlafen konnte, wie man wollte. All das würde Kingsley in zwei Tagen auch wieder tun können. Aber anders als die anderen freute er sich kein bisschen auf die Ferien bei seinen Großeltern.
    Stearns hatte ihn ruiniert. Hatte alles ruiniert. Die Vorstellung, einen Sommer lang aus dieser Einöde heraus und wieder unter zivilisierte Leute zu kommen, hatte plötzlich keinen Reiz mehr für ihn. Drei lange Monate würde er Stearns nicht sehen können, nicht mal von ferne. Kingsley hatte sich bereits ausgemalt, wie diese Zeit der Trennung für ihn sein würde. Jeder Sonnenstrahl würde ihn an Stearns Haar erinnern. Jeder grau verhangene Abendhimmel würde ihn an Stearns Augen denken lassen. Jedes Mal wenn er sich selbst anfasste, hätte er die Fantasie, dass es Stearns Hand wäre, die er auf seinem Körper spürte. Nicht dass Stearns ihn jemals so berührt hätte, höchstens in Kingsleys Träumen. Aber seit jenem Tag im Schlafsaal, als Stearns ihn aufs Bett gedrückt hatte, war etwas anders zwischen ihnen.
    Sie hatten nicht mehr so viel miteinander geredet. Dennoch fühlte Kingsley sich ihm, aus welchem Grund auch immer, plötzlich viel näher. Und wann immer er Stearns allein irgendwo sitzen sah, beim Lesen oder Schreiben, holte er seine eigenen Hausaufgaben und ließ sich auf den Boden neben Stearns Stuhl nieder. Warum auf den Boden und nicht aufs Sofa, auf den Tisch oder auf einen anderen Stuhl, wusste er selbst nicht. Aber wenn er daran dachte, wie Stearns Daumen sein Handgelenk liebkost hatte, genau dort, wo der Puls klopfte, wollte er nichts anderes, als zu Stearns Füßen auf die Knie zu sinken und für immer dort zu bleiben.
    Der Seelenschmerz, den die Aussicht auf drei Monate ohne Stearns in ihm auslöste, hatte ihn in Father Henrys Garten getrieben. Er wollte etwas ausprobieren, was er noch nie zuvor versucht hatte. Vielleicht war es ja Stearns Einfluss … Kingsley hatte ihn gestern erst in der Kapelle gesehen, mit einem Rosenkranz in der Hand. Er betete stumm eine geschlagene Stunde lang. Kingsley wusste, dass es eine geschlagene Stunde war, weil er drei Kirchenbänke hinter ihm saß und ihn die ganze Zeit beobachtete. Nach exakt sechzig Minuten hatte Stearns sich von seinem Platz erhoben und umgedreht.
    „Wofür hast du gebetet, mon ami?“ , fragte Kingsley.
    „Wofür ich jeden Tag bete, seit ich dich getroffen habe“, antwortete Stearns und ließ die Perlen durch seine Finger gleiten.
    „Und was ist das?“
    Stearns öffnete seine Hand. Er hatte den Rosenkranz zwischen seinen Fingern zu einer Art Spinnennetz geformt.
    „Kraft.“
    Er schloss die Finger zur Faust und legte sie auf seine Brust, über sein Herz. Dann ging er, doch Kingsley blieb noch eine Weile in der Kapelle.
    Kraft . Das eine Wort hatte ihm alles gesagt. Er brauchte keine weiteren Hinweise, keine anderen Worte. Nun kannte er die Wahrheit. Aber statt von seiner Besessenheit befreit zu sein, fühlte er sich nur noch mehr zu Stearns hingezogen.
    Kraft .
    Das konnte nur eines bedeuten.
    Stearns begehrte ihn. Wollte ihn.
    Kingsleys faltete seine Hände. Stearns hatte um Kraft gebetet. Und er würde das jetzt auch tun.
    Er pflückte sich die größte und makelloseste rote Rose vom nächststehenden Strauch und starrte ins Innere der Blüte. Dann schloss er die Augen.
    „Assistez-moi.“ Hilf mir , betete er, unwillkürlich ins Französische fallend. Er konnte sich keinen Gott vorstellen, der eine andere Sprache sprach. „Assistez-moi, s’il vous plaît, mon dieu.“
    Kingsley öffnete die Augen. Am Rand des Gartens, im Schatten eines Baums, stand Stearns

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