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Sklaven der Begierde

Sklaven der Begierde

Titel: Sklaven der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Reisz
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einer Minute oder einer Stunde verwandelte der Schmerz sich … nicht in Lust, sondern in etwas, das viel stärker war. Er wurde zu einer Art Ekstase, die drohte, ihn auszulöschen, aufzulösen, zum Verschwinden zu bringen. Nichts würde von Kingsley übrig bleiben, aber das spielte keine Rolle.
    Stearns war in ihm.
    Der rot glühende Abendhimmel färbte sich schwarz. Es wurde Nacht. Er hörte Stearns stoßweise atmen … oder war er es selbst? Er wusste es nicht, es kümmerte ihn nicht. Er holte tief Luft und roch das Aroma der Kiefern. Welch ein schöner Duft! Er atmete noch einmal tief ein.
    Und schließlich kam Kingsley, auf dem harten, unnachgiebigen Waldboden, mit einem Schauer, der seinen ganzen Körper erbeben ließ.
    Stearns war in ihm.
    Seine Gebete waren erhört worden. Vielleicht. Vielleicht wurde er aber auch für seine Gebete bestraft. „Himmel“ und „Hölle“ waren auf einmal bedeutungslose Wörter für ihn. Sein Himmel war jetzt, dieser Moment unter Stearns. Seine Hölle war jeder Moment davor gewesen und würde jeder Moment danach sein.
    Stearns war in ihm .
    Immer wieder sagte er sich im Geiste diesen Satz vor, so oft, bis es der einzige war, den er kannte, in welcher Sprache auch immer.
    Und dann war es vorbei, nach einer Stunde. Oder nach zwei Stunden. Womöglich waren es auch nur Minuten. Er fühlte Stearns Gewicht nicht mehr auf seinem Rücken, und sein Körper war leer.
    Langsam zog Kingsley die Arme an sich heran und drehte sich um. Über ihm glitzerten Abertausende von Sternen. Unter ihm streichelten die gefallenen Blätter des vorigen Jahres seine Haut wie eine Decke aus kostbarer Seide.
    Er hörte Stoff rascheln, hörte, wie Stearns seine Kleidung in Ordnung brachte. Aber er würde hier liegen bleiben, über sich das funkelnden Firmament, nackt und blutend und ohne Scham. Er war eben unter Stearns gestorben. Und er war wiedergeboren worden.
    Etwas berührte sein Gesicht. Eine Hand? Nein, ein Paar perfekter Lippen. Die Lippen wanderten von seiner Stirn zu seiner Wange und senkten sich schließlich auf seinen Mund. Der Kuss währte eine Ewigkeit und endete doch viel zu schnell.
    „Ich heiße Søren.“
    Kingsley nickte. Er hatte auch etwas zu sagen. „Je t’aime“ , erwiderte er in der Sprache, die Gott sprach.
    Ich liebe dich .

NORDEN
    DIE GEGENWART
    Nichts hatte sich verändert. Kingsley konnte es einfach nicht fassen. Dreißig Jahre, und hier hatte sich absolut nichts verändert . Noch immer wand sich die Straße nach St. Ignatius durch die trostloseste und gefährlichste Landschaft, die er außerhalb Europas je erlebt hatte. Noch immer umhüllten die Bäume die Schule wie eine immergrüne Mauer. Und jedes verdammte Gebäude sah wie eine Kirche aus.
    „Wann warst du das letzte Mal hier, mon ami?“ , fragte Kingsley, als sie aus der Limousine stiegen, die er für die Fahrt zu ihrer alten Schule gemietet hatte.
    „Vor ungefähr fünf Jahren.“ Søren stand in der Mitte des Hofs und ließ seinen Blick über die Stätte ihrer Jugend gleiten. „Bei Father Henrys Beerdigung.“
    „Haben sie ihn in seinem Garten begraben?“
    Søren lächelte. „Wo sonst?“
    „Fünf Jahre – das ist lange her.“
    Søren nickte, drehte sich langsam um und schaute auf den Wald, der sie von allen Seiten umgab. „Ich vermeide es, allzu oft herzukommen. Es ist mir … unangenehm, hier zu sein. So, wie die Situation nun mal ist.“
    „Je comprends.“ Kingsley verstand in der Tat. Als Sørens Vater starb, hinterließ er seinem Sohn knapp eine halbe Milliarde Dollar. Es war der letzte Versuch, ihn vom Priesteramt abzubringen. Schließlich konnte ein Mann, der ein derartiges Vermögen besaß, unmöglich weiter Jesuit sein. Also gab Søren das ganze Geld weg. Bis zum letzten Cent. St. Ignatius profitierte erheblich von der unwillkommenen Erbschaft – Søren spendete seiner alten Schule rund fünfundzwanzig Millionen Dollar. „Bei so viel Reichtum hätte man ja eigentlich erwarten können, dass das hier jetzt wie ein Palast aussieht.“
    „Father Henry hat das meiste Geld in eine Stiftung gesteckt, die sich um jugendliche Straftäter kümmert, die zur Resozialisierung hierher geschickt werden. Und das eine oder andere ist schon auf Vordermann gebracht worden, aber mit Bedacht. Father Henry wollte mit seiner Schule nicht protzen. Er verabscheute es, Reichtum auffällig zur Schau zu stellen.“
    „Interessante Sichtweise für einen Katholiken.“
    Søren warf ihm einen entnervten Blick zu. „Ich

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