Sklaven der Begierde
Tee?“
„Oui, merci.“ Kingsley nahm die Tasse entgegen und setzte sich an den Kamin, Christian gegenüber.
„Ah, da ist es wieder, dieses Französische. Du hast immer noch den Akzent, aber ich habe die Sprache vermisst.“
„Ich werde den Akzent nie verlieren. Er ist Teil meines Erfolgs.“
Christian grinste wieder. „Du hattest recht, ich will wirklich nicht wissen, was für Geschäfte du so treibst. Ich nehme an, du verheimlichst diese Machenschaften auch vor Father Stearns.“
Kingsley hob eine Augenbraue. Seine Lippen zuckten, aber es gelang ihm, sein Lächeln zu unterdrücken.
„Bien sûr.“
Sie saßen am Kamin und schlürften so vornehm ihren Tee, als wären sie zwei englische Gentlemen – und nicht ein Jesuitenpater und ein französischer Sünder.
„Darf ich fragen, was dich heute hierher verschlagen hat?“ Christian musterte ihn über den Rand seiner Tasse hinweg.
„Die Geister der Vergangenheit.“ Kingsley richtete seinen Blick auf den kalten Kamin und wägte seine nächsten Worte sorgfältig ab. Christian hatte damals das Foto geschossen, das ihnen jetzt so viel Kopfzerbrechen machte. Nicht unwahrscheinlich, dass er etwas über diese Angelegenheit wusste. „Da du ja nun ein Priester bist, vertraue ich darauf, dass alles, was ich dir sage, unter uns bleibt.“ Wenn er einen Teil der Wahrheit preisgab, würde Christian vielleicht seinerseits ins Plaudern kommen.
„Du kannst mir alles erzählen. Es wäre mir eine Ehre, deine Beichte abzunehmen.“
„Solange du mich nicht von meinen Sünden freisprichst, s’il vous plaît . Ich würde sie sehr vermissen, und sie mich auch.“
„Versprochen. Und jetzt sag schon – wer ist der Geist der Vergangenheit, der dich nach all diesen Jahren hierher gelockt hat?“
„Wenn ich das nur wüsste, mon frère. Mon père.“ Kingsley zwinkerte ihm zu. „Erinnerst du dich noch an die Fotos, die du damals von uns allen gemacht hast?“
Christian runzelte nachdenklich die Stirn und riss dann die Augen auf. „Aber ja, natürlich. Ich hatte diese Kamera zu Weihnachten bekommen und dachte, ich würde mein Leben später damit verbringen, Titelbilder für ‚National Geographic‘ zu schießen.“
„Aber selbstverständlich nur von Tieren. Oder auch von den einheimischen Frauen?“ Kingsley hob fragend die Brauen, und Christian errötete leicht.
„Ich wäre dahin gegangen, wohin sie mich geschickt hätten. An die Aufnahmen, die ich hier gemacht habe, kann ich mich gut erinnern. Ich habe damals versucht, jeden an der Schule vor die Linse zu kriegen.“
„Du hast ein Foto von mir und Father Stearns gemacht. Es war nach dem Unterricht. Ich habe ihm dabei geholfen, Aufgaben seiner Französisch-Schüler zu korrigieren.“
„Die Einzelheiten habe ich nicht mehr parat. Waren wir in der Bibliothek?“
„In der Kapelle.“ Kingsley konnte sich an jede Einzelheit dieses Tages erinnern. Er und Søren hatten sich in ihrem Versteck gestritten. Erbittert gestritten, wie es ihre Art war. Der junge Kingsley hatte ein stürmisches Temperament, er war heißblütig und sehnte sich nach mehr Zeit mit Søren, nach mehr Zuneigungsbekundungen von dem oft so unnahbaren jungen Mann. Der Søren von damals war genau wie der von heute: kalt, ruhig, vernunftgesteuert … Die Gelassenheit, mit der er auf Kingsleys Wutanfälle reagierte, brachte diesen nur noch mehr auf. Er hatte Søren bis aufs Blut gereizt, um wenigstens irgendeine Form von Emotion aus ihm herauszukitzeln, und endlich bekam er, was er wollte. Søren warf ihn auf das Gitterbett und fesselte Kingsleys Handgelenke an den Metallrahmen. Dann fickte er ihn eine halbe Stunde lang durch, ohne ein Wort, ohne Gnade, eine Hand auf Kingsleys Mund gepresst, um alle Schreie zu ersticken, die andere an Kingsleys Nacken, um ihn festzuhalten. Danach zitterten Kingsley die Knie, so gewaltig war der Orgasmus gewesen, den Søren ihm verschafft hatte.
Sie waren zur Schule zurückgekehrt und hatten dort ihre übliche Routine aufgenommen. Kingsley war wieder friedlich und kauerte in stummer Glückseligkeit zu Sørens Füßen. In stiller Eintracht arbeiteten sie sich durch einen Stapel französischer Hausaufgaben, kringelten Fehler ein und schrieben Anmerkungen. Und während er auf dem Boden neben Sørens Stuhl saß und Søren bei seiner Arbeit half, fühlte Kingsley sich ihm noch näher als vorhin beim Sex. Das war eine neue Erfahrung für ihn, und er hatte es auch später im Leben bei keinem anderen mehr so erlebt. Bis er
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