Sklaven des Himmels
gesehen?«
»Wer, mit einigermaßen guten Augen, hat das nicht?« erwiderte Berry. »Er ist der größte Stern am Himmel, und der hellste. Er zieht ruhig durch die Dunkelheit, manchmal könnte man meinen, selbst durch den Mond. Aber wie jeder vernünftige Mensch weiß, ist das unmöglich.«
»Der Wanderer ist Himmel VII«, behauptete Tala. »Der Ort, an dem wir nun leben und sterben müssen.«
Berry wurde ärgerlich. Er packte Tala heftig am Handgelenk. »Frau, halte mich nicht zum Narren. Mach dich nicht über meine Unwissenheit lustig. Sag mir die Wahrheit, sonst werde ich dir echten Grund zum Weinen geben.«
»Tu es, wenn dir das dein Selbstvertrauen wiedergibt.« Sie zuckte die Schultern. »Es ist mir so gleichgültig. Ich habe meine drei geboren und deshalb nicht mehr viel Zeit. Wenn mir der Tod bestimmt ist, werden die Lords des Himmels es gewiß schmerzlos machen.«
Berrys Verwirrung wuchs. »Was soll all diese Rederei über Gebären und Tod?« Er erhob sich abrupt von dem Lager, wo er mit Tala gesessen hatte und stellte überrascht fest, daß seine Füße kurz den Boden verließen. Er starrte ungläubig auf sie herab. Versuchshalber sprang er in die Höhe und erreichte fast die Decke, dann fiel er viel langsamer, als es eigentlich sein dürfte. Er fühlte sich eigenartig leicht. Vielleicht war das eine Nachwirkung seiner kürzlichen Verletzung. »Bin ich krank, Frau?« stieß er hervor. »Meine Muskeln scheinen stärker als je zuvor, und doch ist mir, als hätte mein Körper kaum noch ein Gewicht.«
Erstaunlicherweise antwortete Tala in der fremden Sprache. »Sei nicht beunruhigt, Berry. Deine Masse hat sich nicht verändert. Du befindest dich lediglich in einem künstlichen Gravitationsfeld. Das ist alles.«
Berry fuhr sich über die Stirn. »Es tut mir leid, daß ich grob war. Ich glaube, ich habe noch viel zu lernen. Ich kenne die Worte, die du benutzt hast, aber ich verstehe ihre Bedeutung nicht.«
»Es gibt keine solchen Wörter in der Sprache der Stämme. Darum mußte ich auf die Sprache der Menschen von Himmel VII zurückgreifen.«
»Ist schon gut. Ich will versuchen, nicht ungeduldig zu werden, und ich werde mich bemühen, zu verstehen ... Drei Geburten, sagtest du? Und nun hast du Angst vor dem Tod. Du bist sicher schon lange im Himmel, Tala. Erzähl mir davon. Mein Kopf brummt von all diesen Rätseln. Hilf mir, diese Welt zu verstehen. Das ist alles, worum ich dich bitte.«
»Ich werde mein Bestes tun. Doch du mußt mir glauben, daß ich wirklich die Wahrheit spreche. Du darfst nicht an meinen Worten zweifeln.«
»Ich verspreche es.«
10.
Talas Geschichte war unglaublicher – obgleich Berry nicht mehr an ihrer Wahrheit zweifelte – als die Schauermärchen, die man am Sonnwendfeuer erzählte, wenn fast der ganze Stamm betrunken von den gekochten Säften der Pilze war.
Sie war auf etwa die gleiche Weise wie Berry selbst in den Himmel gebracht worden, und auch sie hatte die Sprache der Himmelsmenschen verstanden, obwohl ihr viele Wörter zuerst fremd waren. Nachdem sie den Schock überwunden hatte und nicht mehr beim Anblick jedes Nachtgängers wie am Spieß brüllte oder sich wie ein waidwundes Reh in eine Ecke verkroch, wurde sie Lady Sontag übergeben – einer Frau, die bewundert und verehrt wurde, weil sie kunstvolle Dinge aus Stein und Holz anzufertigen wußte.
Lady Sontag, erzählte Tala, war von großer Schönheit und im Vergleich zu anderen Himmelsladies sehr gütig. Sie verweigerte kaum einem Mann ihre Zuneigung, und viele Frauen beneideten sie. Sie war gut zu ihren Sklavinnen, zu denen Tala als dritte und jüngste gehörte.
Obgleich Lady Sontag nach dreckirdischen Begriffen mehr als hundertsiebzig Jahre alt war, und obgleich sie mit unzähligen Männern gelegen hatte, war doch nie ein Kind in ihrem eigenen Schoß gereift. Trotzdem waren ihr neunzehn ihres Blutes im Lauf der Jahre von ihren Sklavinnen geboren worden. Nur drei davon erreichten jedoch Mannesalter. Alle anderen starben an seltsamen Krankheiten.
Berry fragte, wie es möglich war, daß das Kind einer Frau aus dem Schoß einer anderen käme. Tala wußte es selbst nicht genau. Sie wußte nur, daß sie drei Babys geboren hatte, die von Lady Sontag kamen, wie ihre Herrin behauptete. Zwei von ihnen waren als Säuglinge gestorben. Das dritte lebte noch, aber Lady Sontag hatte nicht viel Hoffnung, daß es noch lange am Leben bleiben würde. So war es mit vielen Kindern, die im Himmel geboren wurden. Deshalb,
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