Sklaverei
erheblicher Einnahmen aus dem Sexgewerbe bedeuten würde.
Und trotzdem …
Während der Arbeit an diesem Buch habe ich Hunderte Male innegehalten, um mir die Fotos, Zeichnungen und kleinen Geschenke der Opfer anzusehen, die ich auf meiner Reise kennengelernt und denen ich zugehört habe: ein Paar Ohrringe aus Draht und Holzstückchen, die ein Mädchen in Guatemala für mich gemacht hat; oder eine Zeichnung von Dany, einem Jungen, der in Arizona zur Kinderpornographie missbraucht wurde und mir sagte, er wolle mich heiraten, wenn er groß sei, weil ich Baseball und Harry Potter mag.
Während ich die zahllosen Interviews abhörte, konnte ich oft nicht weiterschreiben. Mich schauderte, ich spürte Hunger, Appetitlosigkeit, Durst, Schlaflosigkeit, Müdigkeit. Gelegentlich fühlte ich die Empörung in mir aufsteigen und führte Selbstgespräche: Was kann ich angesichts dieser Geschichten noch sagen? Wie soll ich mit diesen Aussagen umgehen, ohne die Gefühle dieser Menschen in einer Art Pornographie des Schmerzes zur Schau zu stellen? In Momenten wie diesen spürte ich die Wärme der kleinen Hände der usbekischen Mädchen, die mich in der kalten Nacht wärmten, oder ich erinnerte mich an das Lächeln und die Freude der afghanischen Soldaten, denen ich eine Tüte mit Keksen schenkte, über die sie sich freuten, als seien sie aus Gold.
Gelegentlich starrte ich den Monitor an und fühlte mich zutiefst erschöpft. Dann ging ich in den Garten, spielte mit meinen Hunden und versuchte, meine brennenden Fragen zu vergessen: Wann entwickeln wir uns endlich? Was ist denn nur mit uns Menschen los, dass wir nicht in der Lage sind, diesen Schmerz zu lindern? Niemand, weder die Hunde noch die Bäume im Garten, wusste die Antwort.
Dann ging ich zu meinen Notizen und Aufnahmen zurück und las in meinem Tagebuch. Immer wieder staunte ich über die Fähigkeit dieser Menschen, die Geschehnisse zu rekonstruieren, von ihren Erfahrungen zu berichten und ihnen einen neuen Sinn zu geben, um sich ihrem Schmerz und Leid zu stellen. Es entsetzte mich, wie die Gesellschaft eine der schrecklichsten Formen der Gewalt, nämlich den Kauf eines Körpers für ein paar Münzen, als etwas völlig Normales betrachtet und wie sie damit Millionen von Frauen und Mädchen das Recht auf Liebe und eine erfüllte Sexualität verweigert.
Während der Arbeit an diesem Buch erhielt ich wiederholt Drohungen von Verbrechersyndikaten, weshalb ich mich um den Erhalt meines emotionalen Gleichgewichts und meines inneren Friedens bemühen musste. Ich durfte mich nicht von dem erdrückenden Hass und der Angst anstecken lassen, die von diesen Kriminellen ausgehen, und ich durfte mich nicht der Versuchung hingeben, der manche Hilfsorganisationen erliegen, und versuchen, mit radikalen Forderungen und verfälschten Zahlen die laue Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen.
Burnout und emotionale Erschöpfung durch Empathie sind Themen, die oft vernachlässigt werden. Es ist unmöglich, keinen Zorn und kein Mitgefühl zu empfinden, während Hunderte Mädchen, Jungen, Frauen und Männer hemmungslos weinend ihre schrecklichen Geschichten über systematische Vergewaltigungen erzählen und immer wieder fragen: »Warum ausgerechnet ich?« Viele der Helfer, die ich kennengelernt habe, litten unter dem Burnout-Syndrom: Polizeibeamte, Ermittler und Gesetzgeber genauso wie Journalisten, Menschenrechtsanwälte und Politiker, die es wagen, die Stimme zu erheben, und die als Antwort nur Anfeindungen erhalten.
Viele populistische und radikale Meinungsmacher beschimpfen Menschen, die es wagen, auf die Schädlichkeit der Pornographie, der Prostitution und die Verflechtungen von Politik und Sexgewerbe hinzuweisen, und diffamieren sie als reaktionär, ignorant, scheinheilig, frigid oder lesbisch. Während meines Besuchs in Guatemala erhielt eine Abgeordnete, die dort für die Abschaffung der Prostitution kämpft, eine anonyme Drohung, wenn sie sich nicht aus dem Geschäft mit der Prostitution heraushalte, dann werde sie ermordet, aber zuvor werde sie »von echten Männern mit Pfählen vergewaltigt«, damit sie nicht frigide sterben müsse. Die Abgeordnete wusste, dass der Absender ein hochrangiger Armeeoffizier war, der die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen kontrolliert. Doch sie konnte nichts tun, als den Brief aufzuheben als Zeichen der Anerkennung für den Mut, mit dem sie die Patriarchen und »fröhlichen alten Hurenböcke«, wie Gabriel García Márquez sie nennt,
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