Sklaverei
Syrerin, die verschleppt und in Istanbul an einen Mann verkauft wurde, der sie zu Matilde brachte. Zwischen ihrem 16 . und 20 . Lebensjahr arbeitete Ulla in zwei Bordellen. Heute ist sie verheiratet und Angestellte in einem Supermarkt. Daneben arbeitet sie als ehrenamtliche Übersetzerin in einer Londoner Organisation zum Schutz der Rechte von Frauen. Die wenigsten ihrer Freunde wissen von ihrer Vergangenheit. Es folgt ein Auszug aus dem, was mir Ulla erzählte:
Wir haben damals geglaubt, dass wir gut behandelt wurden. Andere Mädchen haben uns erzählt, dass sie an furchtbare Orte gebracht und wie richtige Sklavinnen gehalten wurden. Die Geschichten haben uns Angst gemacht. Es hieß, die Männer da seien Wilde und bezahlten nur ein paar Groschen für die Mädchen. Sie hatten angeblich komische Krankheiten, und die Mädchen konnten sich nicht waschen und schminken. Wir waren sauber und hübsch zurechtgemacht, aber wir haben wenig Geld bekommen, und manchmal sind wir auch bestraft worden. Einige Kunden waren obszön und brutal, aber das war einfach ein Teil der Arbeit. Als ich 20 war – das war schon alt –, hat mich ein Kunde gekauft und nach London gebracht. Da habe ich ein paar Jahre lang ohne Aufenthaltserlaubnis gelebt. Außerdem war ich drogensüchtig. Danach habe ich Hilfe von anderen Frauen bekommen und ein neues Leben angefangen. Wenn ich heute zurückblicke, dann weiß ich, dass ich eine Sexsklavin war, aber damals habe ich das nicht verstanden. Wenn du keine Fluchtmöglichkeit hast und allein bist, dann ist es besser, wenn du der Realität nicht ins Auge siehst. Du lebst sie einfach und denkst so wenig wie möglich darüber nach. Ich habe mir damals gedacht: »Was ist denn so schlimm daran, wenn ich meinen Körper verkaufe? Es ist doch das Einzige, was ich verkaufen kann.«
Es ist unmöglich zu entkommen, vor allem weil in der Türkei die Bordelle legal sind. Die Polizeibeamten und Politiker sind die besten Kunden. Die haben die Chefin so gemocht, dass sie ihre Krankenschwestern vorbeigeschickt haben, um uns untersuchen zu lassen. Es hieß, wir wären die gehorsamsten und gesündesten Prostituierten in der ganzen Türkei.
Es dauerte einige Jahre, bis sich Ulla eingestand, dass eine der Frauen im Bordell sie opiumsüchtig gemacht hatte und dass sie nur mit Hilfe der Drogen die Schrecken der Gefangenschaft, das Leben als Prostituierte und die dauernden Vergewaltigungen durch zehn bis zwölf Männer am Tag ertragen konnte. »Mit dem Opium konnte ich fliehen. Ich musste nichts spüren, nicht da sein, nicht ich sein«, sagte Ulla.
Nicht alle Frauen erleben das Bordell als Tragödie. Sonya aus Montenegro kam im Alter von 24 Jahren in die Türkei und ist heute 35 . Bei ihrer Ankunft in der Türkei wusste sie schon, dass sie als Prostituierte arbeiten würde. Innerhalb von drei Jahren bezahlte sie ihre Schulden bei den Menschenhändlern ab und arbeitete von da an auf der Straße, ohne behelligt zu werden. Sonya erinnert sich:
Ich habe dauernd mit der Angst gelebt, dass irgendjemand im System Anstoß an mir nehmen könnte und dass sie eine Razzia veranstalten, wie die Polizei das immer macht, wenn neue Frauen kommen. Ich hatte Angst, dass sie mich ausweisen würden. Sie haben uns immer gesagt, die Polizei hätte unsere Daten und Fotos, und wenn wir uns schlecht benehmen, dann würden sie uns nach Hause schicken. Ich wollte nicht zurück zum Hunger und zur Gewalt. Ich habe nichts mehr in Montenegro. Ich habe kein Zuhause mehr. Die Prostitution war vielleicht nicht das Beste, aber ich hatte wenigstens was zum Leben.
Die Geschichte von Matilde Manukyan, der großen türkischen Kupplerin, ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Zuhälter zu Sklavenhändlern werden können. Sie arbeiten nicht nur mit dem System und verbünden sich mit der Polizei und den Behörden, sondern sie betätigen sich in vollkommen legalen Geschäften und werden in bestimmten Gesellschaftskreisen, etwa bei der Aristokratie oder bei Politikern, sogar geschätzt. Nachdem sie sich im legalen System der Prostitution etabliert hatte, stieg sie in den Mädchenhandel ein. Das Geld, das sie mit dem Sklavenhandel verdiente, investierte sie in Immobilien. Gegen Ende ihres Lebens besaß sie drei Fünf-Sterne-Hotels, mehr als 120 Wohnungen in verschiedenen Touristenhochburgen des Landes, ein Exportunternehmen und einen Taxiservice mit mehr als 300 Luxuslimousinen. In ihrem privaten Fahrzeugpark hatte sie mehrere Rolls-Royce, Mercedes-Limousinen und
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