Sklaverei
stechen als orangefarbene und goldene Farbtupfer aus der Menge hervor. Sie sind die einzigen Fußgänger, für die sogar die Autofahrer anhalten.
Die neuen Autos der Reichen und Politiker bahnen sich leicht ihren Weg durch das Chaos. In den offenen Tuk-Tuks sind die Touristen gut erkennbar. Die Einheimischen werfen verstohlene Blicke auf die Motorradtaxis, in denen ältere Männer im Alter von 50 oder 60 Jahren neben 12 - oder 14 -jährigen Mädchen sitzen: Es sind die
Dadas
oder
Papis
, ausländische Klienten der Prostitution, die als reiche Weiße eine Sonderbehandlung genießen, Dollars und Euros in der Tasche haben und jeden Luxus bezahlen, den sie haben wollen. Kambodscha ist Ursprungs-, Durchgangs- und Zielland des Sextourismus, das heißt, hier werden Frauen und Kinder gekauft, verkauft und ausgebeutet.
Schon auf den ersten Blick wird deutlich, wie wenig die Wirklichkeit mit den Broschüren zu tun hat, die die Einwanderungsbehörde den Touristen bei ihrer Ankunft am Flughafen in die Hand drückt. Sie verteilen Heftchen mit einem Stadtplan und verschiedenen Verhaltensregeln. Die Gesetze des Königreichs Kambodscha sehen Gefängnisstrafen für alle vor, die mit minderjährigen Prostituierten angetroffen werden. Menschenrechtsorganisationen aus verschiedenen Ländern (zum Beispiel die berühmte AFESIP [5] von Somaly Mam, einer kambodschanischen Überlebenden des Menschenhandels, und ECPAT , eine Organisation zum Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern) konnten dagegen nicht nur die Existenz, sondern auch den Umfang der Prostitution Minderjähriger nachweisen. Dank der Arbeit dieser Organisationen wissen wir, dass in Kambodscha jedes Jahr rund zweitausend Kinder Opfer der Zwangsprostitution werden, und mehrere Tausend zur Bettelei und Haussklaverei gezwungen werden. Wie in Thailand sind 70 Prozent der Freier der minderjährigen Zwangsprostituierten Einheimische, und die Zuhälterringe unterstehen Mafiabossen mit internationalen Verbindungen.
Nach einem kurzen Stopp in der Filiale von Western Union und einer Tasse Kaffee in einem kleinen Lokal, das während meines Aufenthalts mein Hauptquartier ist, besuche ich ein Restaurant von Hagar, einer christlichen Organisation, die seit 15 Jahren in der Region aktiv ist und sich auf die Befreiung und Umsiedlung von Opfern des Menschenhandels und der häuslichen Gewalt spezialisiert hat. Hagar wurde 1994 von dem Schweizer Christen Pierre Tami gegründet, um Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten für ein Leben ohne Gewalt zu eröffnen.
Sue Hanna, eine Vertreterin der Organisation, kommt aus Australien. Sie hat kurzes Haar, ein rundes Gesicht mit rosigen Bäckchen und spricht mit rhythmischer und freundlicher Stimme. Mit halb verletztem, halb zärtlichem Blick erklärt sie mir, wie Hagar Mädchen befreit und ihnen hilft. In ihrer Arbeit wird die Organisation meist von der örtlichen Polizei unterstützt. Nachdem wir uns ein wenig unterhalten und einen Salat gegessen haben, fahren wir mit einem rostigen weißen Jeep zu einer Unterkunft für Mädchen. Ich habe Jaz gebeten, mich später an einer anderen Kreuzung abzuholen.
Die Einrichtung der Betreuungsstätte steht in krassem Gegensatz zur Armut des Stadtteils, in dem sie sich befindet. Das westlich anmutende Gebäude mit seiner hohen Mauer wurde ganz offensichtlich mit ausländischen Mitteln gebaut. Am Tor werden wir von einem Wachmann begrüßt, und ich muss einen Ausweis abgeben, um eintreten zu dürfen. Wir stellen die Sandalen am Eingang ab und machen einen kurzen Rundgang. Sue zeigt mir die einfachen, aber sauberen Räume mit den bunten Gegenständen, die die Mädchen unter Anleitung herstellen. In jedem Zimmer schlafen drei Mädchen und eine Betreuerin, die sie psychologisch begleitet und ihnen hilft, ein neues Leben mit neuen Verhaltens- und Anstandsregeln anzufangen.
Die Menschenhändler verwenden die für alle Entführer typischen Methoden: Sie provozieren Streit und Rivalität unter den Opfern, die an einem Ort zusammenleben, damit wollen sie verhindern, dass sie sich verbünden und gemeinsam aufbegehren. Sie arbeiten mit Belohnungen und Strafen und machen die Mädchen zu ihren Lieblingen, wenn sie sich in die Ausbeutung fügen und hypersexuell, verführerisch und anpassungsfähig werden. Wenn die Mädchen noch sehr jung sind, verinnerlichen sie die emotionale Konditionierung und machen sie zu einem Teil ihrer Persönlichkeit. Sie sind nicht in der Lage, ihre Erfahrungen moralisch zu beurteilen.
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