Sklaverei
Beziehungen zu Männern haben. Ansonsten werden sie unangepasst, laufen von zu Hause weg und enden wieder in der vertrauten Welt der Prostitution, in der eindeutige Regeln herrschen: Alle lügen und nehmen mit, was sie können.
»Liebe und Geduld sind nicht genug«, erklärte mir die mexikanische Psychologin und Sexualforscherin Claudia Fronjosá. Die große Herausforderung besteht darin, in Amerika, Europa und Asien Tausende Therapeuten auszubilden, die die minderjährigen Opfer der Sexsklaverei auf effektive, ethische und respektvolle Weise betreuen. Sie erfordern eine andere Behandlung als Kinder, die in der Industriearbeit versklavt werden und beispielsweise in Indonesien Fußbälle nähen. Erst ganz allmählich entsteht ein Bewusstsein dafür, dass sich die verschiedenen Formen des Menschenhandels stark voneinander unterscheiden.
Auf dem Weg nach draußen frage ich mich, von welcher Mafia diese Mädchen wohl versklavt wurden. Keine 24 Stunden später sollte ich eine Antwort erhalten. Nachdem ich die Gesichter ihrer Peiniger gesehen hatte, sollte ich die Mädchen umso mehr dafür bewundern, wie sie ihre Situation überwunden hatten.
Somaly Mam und ihre Mitstreiterinnen
Somaly hat die Haltung einer Prinzessin, die Kraft einer Kriegerin und den Gleichmut einer weisen alten Frau. Diese Frau mit der kupferfarbenen Haut und dem durchdringenden Blick geht durchs Leben wie jemand, der das Geheimnis zur Rettung der Welt besitzt und Angst hat, dass die Menschheit nicht rechtzeitig auf eine moralische Katastrophe reagiert. Sie arbeitet unermüdlich an einer einzigen Mission: dem Sieg über die Sexsklaverei. Ihrer Ansicht nach muss dazu die Prostitution abgeschafft werden, allerdings schrittweise, um nicht denjenigen zu schaden, die heute in einem ihrer Netze gefangen sind. Sie hält es für einen Irrtum, die Prostitution als »Sexarbeit« zu bezeichnen, und ihre Geschichte erklärt warum.
Diese hübsche Kambodschanerin ist ein internationales Symbol für den Kampf um die Befreiung von Frauen und Mädchen, aus der Sexsklaverei und der Zwangsprostitution. Allein ihre Anwesenheit bringt jeden Raum zum Leuchten. Sie spricht langsam, mit einer lieblichen, aber leidenschaftlichen Stimme. Mit ihrem Äußeren, ihrem schwebenden Gang und ihren weichen Bewegungen wirkt sie wie eine typische kambodschanische Frau. Ich habe sie in New York kennengelernt, wohin uns unsere gemeinsame Freundin Marianne Pearl anlässlich der Präsentation eines Buches über Vorkämpferinnen der Menschenrechte eingeladen hatte. Wie Tausende andere Menschen kannte ich die Geschichte von Somaly Mam aus Büchern. Sie wurde mehrfach von ihrem Großvater verkauft und jahrelang in einem Bordell ausgebeutet. Sie floh, nachdem sie mitansehen musste, wie ihr Zuhälter ihre beste Freundin, ein anderes zwangsprostituiertes Mädchen, tötete. Sie überwand ihr Trauma und widmet ihr Leben seither der Rettung von asiatischen Mädchen aus der Zwangsprostitution und dem Kampf gegen den internationalen Menschenhandel. Sie ist weltweit eine der führenden Stimmen im Kampf gegen die Sexsklaverei.
Bei diesem Besuch in Kambodscha treffe ich Somaly nicht, denn sie hält sich im Ausland auf, um eine Auszeichnung für ihre Arbeit entgegenzunehmen. Mit dem Tuk-Tuk fahre ich zum Büro von AFESIP , das sich zwischen kleinen Schreinereien, Fahrradwerkstätten, Bordellen und einfachen Holz- und Strohhütten befindet. Der Weg dorthin führt über einen zwei Kilometer langen Feldweg – der Asphalt ist noch nicht in diesem Stadtteil angekommen. Das Gebäude von AFESIP genießt besondere Privilegien, denn nicht alle Nachbarn haben Strom und fließendes Wasser. Ich stelle meine Sandalen draußen ab und werde vom Verwalter der Organisation und einer englischen ehrenamtlichen Mitarbeiterin begrüßt.
Somaly überlebte die Sexsklaverei, und als sie die erste große Rettungsaktion einer Gruppe von 83 Mädchen vorbereitete, wurde sie von der kambodschanischen Polizei verraten. Dieses Erlebnis hat sie geprägt. Daraufhin entwickelte ihr Team Sicherheitsstrategien, die den realen Gegebenheiten ihres Landes angemessen sind: Sie arbeitet zwar noch immer mit der Polizei zusammen, aber sie vertraut ihr nicht.
Die Büroräume sind klein, und Schreibtische stehen dicht gedrängt. An den Wänden hängen Hunderte Bilder von Somaly, zum Beispiel mit der Königin von Schweden, dem spanischen Königspaar und Dutzenden Nobelpreisträgern und anderen internationalen Persönlichkeiten, die sie
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