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Sklaverei

Sklaverei

Titel: Sklaverei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Cacho
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Sie waren ein Leben lang Sklavinnen, und in der Betreuungsstätte erhalten sie die Chance, ein völlig anderes Leben anzufangen und sich neu zu erfinden.
    Im Garten sitzen vier junge Frauen in einem Baumhaus und unterhalten sich mit leiser Stimme. Einige leben schon seit mehr als zwei Jahren hier; sie können nicht zu ihren Familien zurückkehren, da diese sie wieder an die Menschenhändler ausliefern würden. Rund 43  Prozent aller befreiten Mädchen geben an, sie seien von ihrer Mutter verkauft worden. Einige stammen aus Vietnam und den Dörfern im Süden von Kambodscha, andere aus den Philippinen, wieder andere wurden aus thailändischen Bordellen befreit.
    Die jungen Frauen beobachten uns einige Minuten lang. Ich gebe ihnen die Hand, sie lächeln wohlerzogen und wenden sich dann wieder ihren Beschäftigungen zu. Gegenüber befindet sich ein kleines Schwimmbecken. Sechs Mädchen zwischen fünf und zehn Jahren planschen kreischend, spritzen mit Wasser und spielen Delphin. Einige tragen Badeanzüge, andere leichte Bekleidung, mit der sie schwimmen können. Sue erzählt mir ihre Geschichten. Ein Mädchen wurde an einen Menschenhändler aus ihrem Dorf verkauft, der für die Mafia in Phnom Penh arbeitete, und wurde später von ausländischen Touristen sexuell missbraucht. Sue stellt mir die Mädchen vor, und sie schenken mir das Lächeln von freien Kindern. Ich bin bewegt.
    Es ist nicht der Moment, ihnen Fragen zu stellen; sie haben ihre Geschichten der systematischen Vergewaltigung hinter sich gelassen. Ich sehe ihnen beim Spielen zu. Es sind kleine Mädchen mit langen, schwarzen Haaren; schlank, aber gut genährt; einige mit kupfer-, andere mit alabasterfarbener Haut; die einen mit großen, mandelförmigen, die anderen mit schmalen, feinen Augen. Die neunjährige May bewegt sich mit einer Sinnlichkeit, mit der sich nur Kinder bewegen, die sexuell missbraucht wurden. Im Becken steht sie immer wieder auf und wirft die Haare zurück wie die Models im Fernsehen. Sie weiß, dass wir sie beobachten, und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, so wie sie es gelernt hat.
    Die Kleinen wissen, dass es besser ist, die Verführungskünste zu lernen, erklärt mir die Psychologin: Wenn sie wissen, was sie zu tun haben, dann werden sie von den Menschenhändlern und Freiern weniger schlecht behandelt. Sie wurden zu Prostituierten ausgebildet und wissen das nur zu genau. Sie verstehen den Grund nicht, aber im Alter von neun oder zehn Jahren erklären sie mit ihrer zarten, kindlichen Stimme, dass sie dazu geboren sind oder dass ihnen dies zumindest die Menschenhändler und Zuhälter gesagt haben. Die Psychologen versuchen, diese Konditionierung, der die Mädchen von klein auf unterzogen wurden, wieder rückgängig zu machen. Das ist eine gewaltige Herausforderung, denn die Entwicklung einer hypersexuellen Persönlichkeit und die dauernde Erotisierung verhindern, dass sie schützende Grenzen, wie weit sie sich anderen Mädchen oder Erwachsenen nähern können, setzen oder verstehen. Mit viel Geduld und Respekt bringen ihnen die Therapeutinnen bei, ihre Persönlichkeit neu zu strukturieren und ihr alltägliches Verhalten zu enterotisieren. Die größte Schwierigkeit besteht darin, sie dazu zu bringen, Erwachsenen zu vertrauen und ohne Schuldgefühle ihre Sexualität zu leben.
    May lächelt mich an. Ich frage sie, ob sie gern schwimmt, wie alt sie ist und was ihr Lieblingsessen ist. Sie ist begeistert, dass ihr die unbekannte Besucherin so viel Aufmerksamkeit schenkt. Sie berührt mein Haar, zeigt mir ein Fahrrad und erklärt mir stolz, dass sie schon radfahren kann. Sie lacht über unser Dreiecksgespräch mit dem Umweg über die Dolmetscherin. Ich spreche Englisch und sie Khmer. Sie wird abgelenkt und wendet sich wieder dem Spiel zu. Die Mädchen kreischen und klatschen mit ihren Händen aufs Wasser. Plötzlich ruft May laut: »That's it, baby girl … good job!« Ich bin erstaunt. Der amerikanische Akzent ist perfekt. »Wer hat ihr wohl diesen Satz beigebracht?«, fragt Sue. Sie ahnt es wohl. Später erfahren wir, dass die Menschenhändler ihr diesen Satz sagten, wenn sie ordentlich
yum-yum
(oralen Sex) gemacht hat oder von einem Freier vergewaltigt worden war. Sie musste lächeln und küssen, damit es schneller vorbei war.
    Für May und Tausende andere sexuell ausgebeutete Kinder steht dieser Satz, dessen Bedeutung die meisten Menschen erschüttert, für Gehorsam und Befreiung zugleich. Sie lernen, jede Verhaltensweise, für die sie

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