Sklaverei
der Einwanderungsbehörde existiert auf der gesamten mexikanischen Halbinsel Yucatán ein chinesisches Schleusernetz, das über Flug- und Seehäfen illegale Einwanderer von Nicaragua und Mexiko in die Vereinigten Staaten schmuggelt. Die Untersuchungen begannen im Juli 2006 , nachdem die Regierung von Nicaragua auf ein chinesisches Netz von Menschenhändlern aufmerksam geworden war.
Nach Auskunft der Behörden spezialisiert sich diese chinesische Mafia auf den Handel mit jungen asiatischen Frauen, die unter unmenschlichen Bedingungen in Fabriken arbeiten müssen. Außerdem müssen sie in der Zwangsprostitution und in asiatischen Massagesalons (also in der verdeckten Prostitution) arbeiten, und zwar auf einer Route, die von Cancún über Los Cabos nach Los Angeles führt.
In Mexiko nahmen die Ermittler auf der Halbinsel Yucatán die Spur einer chinesischen Triade auf, nachdem sie eine junge chinesische Frau in Cancún und zwei philippinische Frauen in einer Fabrik in Guanajuato in Zentralmexiko entdeckt hatten, die mit Unterstützung korrupter Beamter der Einwanderungsbehörde über die Karibik eingeschmuggelt worden waren.
Weitere Ermittlungen ergaben, dass dreihundert mexikanische Fabriken diesem Netz der chinesischen Mafia angehörten. Ausgangspunkt der Untersuchungen war der Fall von Li Ye, einer 34 -jährigen Frau aus Fuzhou in der chinesischen Provinz Fujian. Li Ye konnte der Mafia entkommen, die sie in einer Wohnung in Cancún gefangen gehalten hatte. Keine der Fabriken wurde geschlossen, denn die Betreiber deklarieren ihre Arbeitssklaven als Zeitarbeiter und verschaffen ihnen legale Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse.
Mit Hilfe eines Dolmetschers sagte Li Ye aus, sie sei von China aus zu einem Flughafen in Mittelamerika transportiert worden. Dort wurde sie auf ein Schiff gebracht, in den Frachtraum gesperrt und von ihren Entführern vergewaltigt. Diese Schiffe aus Nicaragua kamen nach Puerto Progresso und Seybaplaya auf der Halbinsel Yucatán; von da aus wurden sie mit dem Auto in die Touristenorte Cancún und Playa del Carmen an der Karibikküste gebracht.
Die Triaden haben sich zu Experten im Aufbau von internationalen Ringen des Sextourismus und der Prostitution von Minderjährigen entwickelt. Ihre internationalen Zielgruppen sind Glücksspieler auf der Suche nach Prostituierten sowie Unternehmer auf der Suche nach billigen Arbeitskräften, die der Landessprache nicht mächtig und daher nicht in der Lage sind, in den Ländern, in denen sie Zwangsarbeit verrichten, ihre Menschen- und Arbeitnehmerrechte einzufordern. Allein zwischen 2000 und 2008 vervierfachte sich die Zahl der neuen asiatischen Massagesalons in Mexiko – zuvor war dieses Geschäft in Mexiko kaum bekannt.
In einem Interview fragte ich den damaligen Beauftragten für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in Mexiko, José Luis Santiago Vasconselos, warum die mexikanische Regierung nicht gegen die Mafia vorging, obwohl sie eindeutige Hinweise darauf hatte, dass diese zwischen Fuijan und der Karibik aktiv war. Die Antwort war eindeutig:
»Dazu benötigen wir die Unterstützung der chinesischen Regierung, und die Opfer müssten ausreichende Beweise bringen.«
»Aber müssten Sie nicht auch auf eigene Initiative ermitteln?«, beharrte ich.
»Natürlich. Aber in den Ermittlungen gegen Menschenhändler sind wir auf die Opfer angewiesen, denn wir haben nicht die Mittel, um grenzüberschreitende Untersuchungen in diesen Größenordnungen durchzuführen.«
Genau das ist die Achillesferse der Globalisierung: Die kulturellen, wirtschaftlichen, operativen und gesetzlichen Unterschiede sowie die geringen Möglichkeiten, über die Landesgrenzen hinaus aktiv zu werden, verhindern eine Ermittlung in Fällen wie den erwähnten, auch wenn diese noch so gut dokumentiert sein mögen. Der politische Wille (beziehungsweise dessen Mangel) ist schuld daran, dass sich das Thema Menschenhandel und Sklaverei im vergangenen Jahrzehnt auf vereinzelte Horrormeldungen beschränkt und es so wirkt, als handele es sich bei diesem kriminellen Phänomen um Einzelfälle, die von Nichtregierungsorganisationen aufgeblasen wurden. Aber jenseits aller soziologischer Meinungen und Thesen existieren Tatsachen. Diese jungen Frauen und Mädchen sind wie Leuchttürme, die uns in der Nacht den Weg zum Hafen zeigen und uns vor Gefahren auf dem Weg warnen. Noch immer werden ihre Aussagen, die Auskunft über Adressen, Namen, Telefonnummern und Schleuserrouten geben, ihre
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