Sklaverei
Birmesen, Chinesen, Thai und Karen, einer ethnischen Gruppierung aus Birma. Legale Produkte werden hier genauso gehandelt wie illegale. Zwischen den malerischen Restaurants und Ständen mit traditionellem Kunsthandwerk werden falsche Pässe verkauft und Mädchen und Jungen zur Adoption angeboten. Daneben gibt es Container mit chinesischen Produkten, die zwischen den thailändischen Provinzen Mae Ramat, Tha Song Yang, Phop Phra und Um Phang an der Grenze zu Birma zirkulieren. Die Freundschaftsbrücke verbindet Mae Sot und Myawaddy, und von dort führt die Landstraße weiter nach Westen, nach Mawlamyaing und Rangun. Noch vor dem eigentlichen Grenzübergang hatte ich die Touristin gemimt und einen kleinen Buddha gekauft; jetzt ging ich durch die Marktstände, wo mich die Händler bedrängten.
Flora und Fauna unterscheiden sich nicht von der auf der thailändischen Seite, doch die Umgebung ist spürbar anders. Die alten Autos erinnerten mich an das Kuba der Zeit, in der nur Straßenkreuzer aus den fünfziger Jahren durch die Straßen fuhren. Was mich auch an die Karibikinsel erinnerte, waren die steifen Unterhaltungen, hinter denen die Menschen ihre Angst vor der Diktatur verbergen, und das gekünstelte Lächeln, mit dem sie zeigen wollen, dass sie in ihrem Land ein freies Leben führen.
Eine Stunde später ging ich durch die Straßen der Stadt. Die feuchtheiße Luft klebte in meinem Gesicht, und der Gestank des Abwassers stieg aus den Gräben auf. Vor einem Tempel lag ein alter Mann und schlief, während zwei Jungen auf seinen Schlangenkorb aufpassten. Als sich eine Gruppe blonder Touristen näherte, begannen die Jungen sofort mit dem Spektakel der Schlangenbeschwörung. Ein Soldat, der an der Ecke stand, ließ uns nicht aus den Augen: Menschenansammlungen sind verboten, um Unruhen und politische Proteste zu verhindern.
Birma ist eines der Länder, in denen der Staat, vor allem das Militär, erwiesenermaßen Geschäfte mit der sexuellen Ausbeutung von Frauen macht. Unter extremen Vorsichtsmaßnahmen treffe ich meine Informanten in einem Kloster. Es sind Aktivisten, die Hunderte Fälle von birmanischen Mädchen und Frauen dokumentiert haben, die von Soldaten vergewaltigt und ermordet wurden. Außerdem ist es ihnen gelungen, mit Fotografien deren Versklavung zu beweisen. Die politische Aktivität und die Solidarität der buddhistischen Mönche erinnert mich an ihre Glaubensbrüder auf Sri Lanka, bei denen ich ein Jahr zuvor untergekommen war; sie machten mir Mut. Die birmanischen Mönche unterschieden sich deutlich von den Mönchen in Kambodscha und Thailand, die den Kontakt mit Frauen tunlichst vermeiden: Wenn eine Frau ihnen ein Almosen geben will, muss sie dies über einen Mann tun. Die buddhistischen Mönche in Sri Lanka und Birma zeigen dagegen ein ähnliches Mitgefühl wie die tibetischen Mönche, die das Leid ihres Volkes teilen und erkannt haben, dass die frauenfeindlichen Traditionen nicht länger akzeptabel sind.
Die Gefühlslagen der Menschen erinnerten mich an ein Kriegsgebiet oder ein besetztes Land, etwa die Palästinensergebiete, den Irak oder Afghanistan. Menschenrechtsaktivisten arbeiten im Verborgenen und vermeiden alles, was die Opfer weiter gefährden könnte: »Es gibt bereits 700 politische Gefangene, wir brauchen nicht noch mehr Tote, Verletzte und Menschen, die zum Schweigen gebracht werden«, sagte mir ein Spanier, der heimlich einen Dokumentarfilm über soziale Bewegungen in den Provinzen von Birma gedreht hat. Die Menschen, mit denen ich spreche, berichten von den demoralisierenden Auswirkungen der sexuellen Gewalt, die die Soldaten gegen die Frauen und Mädchen der Dörfer ausüben. Die sozialen Bewegungen bestehen überwiegend aus Frauen; es gibt zwar auch einige Männer, doch in der Mehrzahl handelt es sich um Frauen, die bereit sind, ihr Leben für ihre Gemeinschaft aufs Spiel zu setzen. Die konstanten Vergewaltigungen und die Unterdrückung von Frauen sind ein Angriff auf die Gemeinschaft und eine Botschaft der Machthaber, dass sie die Frauen im Auge behalten.
Nan ist 30 Jahre alt, aber sie sieht aus wie 50 . Gelegentlich senkt sie den Blick: Sie schämt sich für die gewaltige Narbe, die an der Stelle ihres linken Auges klafft. Das Auge hat sie bei einem Bajonettangriff verloren, den sie nur durch ein Wunder überlebte. Ich sage ihr, dass ich sie für ihren Mut und ihre Kraft bewundere. Fast wie ein Mädchen erwidert sie, sie wolle niemanden erschrecken, es sei ihr unangenehm.
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