Sklaverei
Behörden. »Niemand. Kein Richter will sich mit ihm anlegen«, lautete die Antwort.
Die Erklärung für diese Untätigkeit der Behörden und Gerichte und für das nachfolgende Schweigen, das sich über den Fall breitete, gab mir eine junge Frau aus Argentinien, die mit falschen Versprechungen nach Playa del Carmen gelockt und dort zur Prostitution gezwungen wurde: »Hier und in Buenos Aires haben die Gorillas von Raúl alles gefilmt, sogar unsere Besuche in Fünf-Sterne-Hotels in Playa del Carmen und Cancún. Die Aufnahmen von Drogenbossen, die in Séparées neben Politikern und Unternehmern sitzen – das ist seine Lebensversicherung.«
Vermutlich tauche auch ich in einem dieser Videos auf, während ich mich auf der Tanzfläche lächerlich mache und mit den jungen Frauen anstoße, die mir bei meinen Recherchen halfen. Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich problemlos Zugang zu diesen Lokalen. Ich könnte ein paar Getränke zu mir nehmen und mir damit ein paar Stunden mit einer jungen Frau erkaufen, um ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu befragen. In dieser Umgebung ist eine Frau automatisch Teil der »Ware«, während die Männer auf Seiten der »Kunden« stehen, die wiederum von der Mafia gefressen werden.
Am 9 . September 2007 , acht Monate nach dem Skandal um die Aussagen von Claudio Lifschitz und lange nachdem mir die mexikanischen Behörden versichert hatten, Martins sei an einen unbekannten Ort außer Landes geflohen, wurde das Bordell
Sex & Girls
eröffnet. Einer der Ehrengäste, der das Band des VIP -Bereichs durchschnitt, war ein kahlköpfiger Mann in schwarzem Anzug mit einer auffälligen Rolex Oyster am rechten Handgelenk: Es war kein anderer als Bordellkönig Raúl Martins. Er wurde als Geschäftsführer des neuen Bordells von Cancún vorgestellt, das sich diesmal im Rotlichtbezirk am Stadtrand befand. Niemand schien diese Nachricht zur Kenntnis zu nehmen.
Im Dezember 2009 wurde Raúl Martins beobachtet, als er mit zwei Models oder Tänzerinnen das Restaurant
Rolandi's
betrat, einen der renommiertesten Gastronomiebetriebe im Hotelbezirk von Cancún. Offenbar ohne von der Justiz behelligt zu werden, hat er sich inzwischen mit einigen Unternehmern aus Mexiko-Stadt zusammengetan. Auch dort unterhält er VIP -Bars mit Stripperinnen aus Südamerika und Osteuropa, die gezwungen werden, sich zu prostituieren, um ihre Schulden zu bezahlen.
Als ich die Frauen aus den Bordellen von Martins fragte, ob sie sich als Sklavinnen betrachteten, lächelten sie nur spöttisch oder fragten mit gespieltem Erstaunen, was ich denn damit meine. Doch als ich sie fragte, ob sie eine Möglichkeit wahrnehmen würden, in Mexiko zu bleiben und als Verkäuferin, Lehrerin, Kellnerin oder in irgendeinem anderen Beruf ihrer Wahl zu arbeiten, antworteten alle, ohne zu zögern, mit ja.
Arely: Dem Tod entkommen
Arely ist eine 19 -jährige Venezolanerin mit platinblonden Haaren. Mit einem Plüschhasen im Arm sitzt sie in einem Sessel der Betreuungsstätte des Centro Integral de Apoyo a la Mujer ( CIAM ) in Cancún. Wenn sie spricht, klingt sie mal wie ein Vamp, mal wie ein verschüchtertes Mädchen. An ihrem Hals sind die purpurfarbenen Abdrücke einer Hand zu sehen, die sie erwürgen wollte. Sie redet wie ein Wasserfall, gestikuliert und kann nur mit Mühe ihre Tränen zurückhalten:
Ich wollte studieren, eine große Geschäftsfrau werden, eine von den Schlauen, die richtig viel Geld machen und ein dickes Auto fahren. Als meine Mutter gestorben ist, in Maracaibo, da hat mir meine Oma gesagt, dass ich mit ihr raus muss auf die Straße, Gebäck verkaufen. Wenn die Autos vorbeigefahren sind, habe ich die Männer angelächelt, und sie haben mir gesagt: »Was für ein hübsches blondes Mädchen du bist!« Aber ich habe nur gedacht, was nützt es mir, dass ich hübsch bin, wenn ich nicht in die Schule gehen und spielen kann wie die anderen Mädchen.
Einmal habe ich auf der Straße Mariel kennengelernt, eine schöne und elegante Frau. Die hat zu mir gesagt: »Wenn du willst, kannst du Modell werden und eine Menge Dollars verdienen. Dann kannst du zur Schule gehen und deine Oma von der Straße holen. In Mexiko gibt es eine Menge Arbeit für venezolanische Mädchen wie dich.« Ich hatte es echt satt, jeden Tag auf der Straße rumzuhängen. Ich wollte was lernen und nicht so leben wie meine Oma. Und Mexiko, ich hab gedacht, das ist echt cool, die leben da in Saus und Braus. Ich hab die mexikanischen Telenovelas gesehen, das war
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