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Sklaverei

Sklaverei

Titel: Sklaverei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Cacho
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eher anvertrauen als einem Mann. Die vier Frauen, mit denen ich mich etwa drei Stunden lang unterhielt, waren noch sehr jung. Eine Kolumbianerin, die mit dem Chef befreundet war, wusste von Anfang an, dass sie als Tänzerin und Prostituierte arbeiten würde. Eine 22 -jährige Brasilianerin war mit 17  Jahren unter dem falschen Versprechen, sie würde als Modell arbeiten, nach Mexiko gebracht worden; sie war über die Grenzstadt Tijuana gekommen, von wo aus die Besitzer einen Bordell-Ring organisierten. Eine 19 -Jährige mit Kindergesicht, Tochter eines Kolumbianers und einer Argentinierin, war im Urlaub nach Cancún gekommen, und ihr war das Geld ausgegangen. Ihre Tante hatte ihr eine Bekannte empfohlen, die ihr Arbeit verschaffen und Papiere besorgen würde: Es war die Frau von Raúl Martins. Eine 20 -jährige Kubanerin, die zwei kleine Kinder bei ihren Eltern auf der Insel zurückgelassen hatte, war überzeugt, dass sie eine Menge Geld nach Hause schicken würde, sobald sie ihre Schulden bei Martins abbezahlt hatte.
    Nach diesem Abend sah ich die Mädchen noch zweimal außerhalb der Bar wieder. In den Tagen nach unserer Begegnung schloss
The One
früh. Es waren kaum Touristen in Cancún, und die Einheimischen waren damit beschäftigt, ihre Häuser und Geschäfte wiederaufzubauen. Die Sicherheitsleute im
The One
waren weniger streng, und die Mädchen konnten ihre Wohnung verlassen und sich mit mir treffen. Martins hatte ihre Papiere einbehalten, aber sie schienen wenig Lust zu haben, sich gegen den mündlichen Vertrag aufzulehnen, obwohl sie ihn als ungerecht empfanden. Es schien ihnen immer noch besser, als zu Hause in Armut und ohne berufliche Aussichten zu leben. Keines der Mädchen hatte einen Schulabschluss, und in ihren Familien herrschte häusliche Gewalt vor. Die Anwälte von Raúl Martins hatten ihnen Aufenthaltsgenehmigungen besorgt; sie wussten zwar nicht, ob die Papiere tatsächlich echt waren, aber das bereitete ihnen kein Kopfzerbrechen. Sie erzählten mir, der einzige nette Mann unter den Anwälten sei ein gewisser Claudio gewesen.
    Ich war überrascht, dass drei der vier Frauen, mit denen ich mich unterhielt, Kinder aus ungewollten Schwangerschaften hatten. Alle versicherten mir jedoch, sie hätten gelernt, ihre Kinder zu lieben. Zwei hatten ihre Kinder noch als Minderjährige bekommen. Alle vier erklärten, die Arbeit gefalle ihnen nicht, obwohl ihnen das Tanzen Spaß machte und sie hin und wieder interessante Männer kennenlernten. Sie weigerten sich, darüber nachzudenken, dass sie Sex gegen Geld verkauften, und trösteten sich damit, dass die Arbeit zeitlich befristet war und sie auf diese Weise ihre Schulden bei Martins möglichst schnell abbezahlen konnten. Die Kubanerin Smira meinte, sie ekele sich vor den Männern im
The One
. Die anderen stimmten zu: »Die Kunden sind unsicher, betrunken und glauben alles, was wir ihnen erzählen. Einige sind ordinär und meinen, wir würden uns in sie verlieben.« Die Mädchen beschrieben ihre Arbeit als Schauspielerei und ihre Kunden als reiche Idioten, die dafür bezahlten, dass die Mädchen so taten, als würden sie sich in ihrer Gegenwart wohlfühlen.
    Zum Abschied hatte die Brasilianerin Nina eine Bitte: »Verrate bitte unsere Namen nicht. Wir haben gehört, dass Martins seinen Schwiegersohn umgebracht hat. Er ist ein grausamer Mann.«
    Nach Auskunft der Kriminalpolizei stimmte das, was die junge Frau sagte. Im Jahr 2004 war der Norweger Peterson Kenneth Turbjorn alias Mike Arturo Wilson García, der Freund von Lorena Martins, ermordet im Hotelbezirk von Cancún aufgefunden worden. Im Polizeibericht wurde als Hauptverdächtiger Lorenas Vater genannt, doch der Fall wurde nie aufgeklärt, und die junge Frau floh nach Spanien. Polizeibeamte aus Cancún berichteten mir, nach dem Befund der gerichtsmedizinischen Untersuchung sei Kenneth Turbjorn vor seiner Ermordung gefoltert worden. Auf meine direkte Frage hin bestätigte mir der Leiter der Kriminalpolizei von Cancún, dass sich Martins unter den Verdächtigen befinde. Er sei jedoch unantastbar. Als ich nachhakte, was er damit meinte, erwiderte er: »Mischen Sie sich besser nicht ein. Dahinter steckt die Mafia.«
    »Und du, pass auf, was du schreibst. Martins bringt dich um«, meinte die kubanische Tänzerin, als sie mich zum Abschied umarmte. Ich habe sie nie wiedergesehen. Später, als Martins’ früherer Anwalt Claudio Lifschitz den Argentinier öffentlich anklagte, verstand ich, wie ernst ihre

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