Sklaverei
Beinen, ohne zu reagieren, ohne zu urteilen, sie beobachtet einfach nur die Wirklichkeit. Einige ihrer kleinen Kolleginnen sind mit Klienten oben in den Zimmern des Hotels. »Bald ist sie an der Reihe«, raunt mir eine der echten Nonnen zu, die uns durch die Gänge führt. Die Polizei unternimmt nichts dagegen. Wenn die Behörden alle Minderjährigen aus der Prostitution befreien wollte, wüsste sie nicht, wohin mit ihnen. Die wenigen Notunterkünfte für die Opfer der Zwangsprostitution sind hoffnungslos überfüllt. Mit viel Geduld haben die Nonnen das Vertrauen der Prostituierten und Zuhälter gewonnen, und mit außergewöhnlichem Mut führen sie gelegentlich Befreiungsaktionen durch. Vor ihnen haben die Menschenhändler mehr Respekt als vor der Polizei. Gelegentlich gelingt es ihnen, in einer Verhandlung ein paar Mädchen freizubekommen. Doch auch sie erhalten Morddrohungen.
Was würde wohl passieren, wenn ich eines dieser Mädchen fragen würde, ob sie nicht gern ein anderes Leben führen würde? Vielleicht müsste ich weinen, weil sie mir erzählt, dass ihre Mutter da draußen ist und dass das Leben so ist, wie es ist, und dass es gut ist. Oder weil sie mir erzählt, dass ihr Vater zehn Meter entfernt auf der Straße sitzt und ihr sagt, dass er sie lieber hat, wenn sie Geld nach Hause bringt, und dass sie wie alle Menschen möchte, dass ihre Eltern sie lieb haben. Genau das war es, was mir ein paar Mädchen in rosa Röckchen antworteten. Um den Hals trugen sie einen goldenen Anhänger mit dem Bild der Jungfrau Maria, die sie beschützen sollte.
7 Die Klienten: Das Geheimnis der Männlichkeit
Zwischen zwei Reisen legte ich einen Zwischenstopp zu Hause in Cancún ein. Ich saß im Restaurant Puerto Madero und genoss bei einem Bier den herrlichen Ausblick auf die Laguna Nichupté. Ich hatte mich mit zwei Freunden verabredet, die gemeinsam eintrafen. Wir bestellten eine Runde Tequila, um unser Wiedersehen zu begießen. Während wir uns nach dem Essen unterhielten, brachte ein Kellner plötzlich eine Flasche an den Tisch, und ein anderer folgte mit drei Sektgläsern.
»Señora Lydia, das hier schickt Ihnen der Herr, der da hinten am Tisch sitzt«, flüsterte der Kellner und blickte diskret zu dem Mann hinüber.
Ich hatte schon bemerkt, dass uns der Mann seit einiger Zeit beobachtete. Er war groß, kräftig, aß ein Steak und trank Wein. Außerdem befand er sich in Begleitung von zwei etwa 25 -jährigen Frauen mit platinblonden Haaren, hohen, durchsichtigen Absätzen und eindeutiger Aufmachung. Der Mann starrte ununterbrochen zu uns herüber. Nachdem ich einige Morddrohungen erhalten habe, bin ich immer wachsam, vor allem an Orten, an denen sich viele Menschen aufhalten.
»Sagen Sie ihm vielen Dank, aber ich nehme keine Getränke von Unbekannten an«, erwiderte ich.
Der Kellner wurde nervös und flüsterte: »Señora, der Herr sagt, er akzeptiert kein Nein.«
Ich sah dem Kellner in die Augen. Meine Freunde machten mir heimlich Zeichen, ich solle die Flasche annehmen und den Mund halten. Wir waren alle sehr angespannt.
»Sagen Sie ihm bitte, dass ich mich bei ihm bedanke, aber dass ich die Flasche nicht annehmen kann.«
Mit der Flasche in der Hand ging der Kellner an den Tisch des Mannes zurück. Wir hatten den Verdacht, dass es sich um einen Mafioso handelte. Der Typ winkte mir diskret zu und legte die Hand wie zu einem militärischen Gruß an die Stirn. Ich wandte mich ab und ging davon aus, dass die Sache damit erledigt war.
Mit der Ausdehnung der Drogenkartelle in Mexiko wächst die Zahl der Männer, die an ihren Operationen beteiligt sind. Ein Beispiel sind die Zetas, eine paramilitärische Gruppe, die sich aus ehemaligen Angehörigen der mexikanischen Armee zusammensetzt. Diese Männer sind überall. In den vergangenen Jahren haben sie sich Zugang zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen verschafft und verkaufen ihnen Schutz vor den Folgen des »Kriegs gegen die Drogenhändler«, den Präsident Felipe Calderón Ende 2006 begonnen hat. Hier zeigt sich ein weiteres Mal, dass die Gewalt, die von Kriegen und Diktaturen ausgeht, unterm Strich nur der Mafia nutzt, die in friedlichen Zeiten ihr Geld in legitimen Geschäften anlegen will und in Krisenzeiten expandiert.
Einige Minuten nach dem Zwischenfall suchte ich die Toilette auf. Als ich wieder herauskam, stand der Typ an eine Säule gelehnt und wartete auf mich. Aus der Ferne beobachteten mich meine Freunde.
»Schauen Sie, Señora Cacho, Sie sind die
Weitere Kostenlose Bücher