Sklaverei
bekomme, dann werde er diese an seine Vorgesetzten weitergeben und mir eine Kopie schicken, »für den Fall, dass etwas passiert«. Damit meinte Lugo eine mögliche politische Bestechung und die in den mexikanischen Behörden verbreitete Praxis, Beweisstücke einfach verschwinden zu lassen.
Beim Abschied fragte mich Lugo, wo denn meine Leibwächter seien. Ich nickte in deren Richtung: Sie saßen in einem gepanzerten Fahrzeug und machten ein Nickerchen.
»Haben Sie keine Angst, dass man Sie umbringen könnte?«, fragte er mich.
Ich antwortete mit einer Frage: »Und Sie?«
»Nicht so sehr, dass sie mich umbringen. Mehr, dass sie mich foltern. Das schon«, gab er zu.
Wir lächelten uns an und verabschiedeten uns mit einem Handschlag. Ich sollte ihn nicht wiedersehen.
Am 14 . Mai 2007 , um 7 : 05 Uhr morgens, wurde Nemesio Lugo Félix wenige Meter von seinem Büro entfernt mit acht Schüssen getötet. Ich hörte die Nachricht eine Stunde später. Es war ein Dienstagmorgen, und ich hatte das Radio eingeschaltet. Als ich die Nachricht hörte, spürte ich, wie eine lähmende Hitze meinen Körper durchflutete. Ein bitterer Geschmack der Angst stieg mir vom Magen in den Mund. Über Funk rief ich den Agenten der amerikanischen Einwanderungsbehörde an, den Lugo bei seiner Reise durch Mexiko begleitet hatte und der sich in Texas aufhielt.
»Hallo. Sie haben Lugo umgebracht. Wissen Sie etwas davon?«, fragte ich nervös.
»Nein, Lydia. Aber tauchen Sie besser ein paar Tage unter, die Sache ist sehr heiß.«
Ich suchte meine Informanten in der Staatsanwaltschaft, um herauszufinden, ob sie den USB -Stick gerettet hatten, den Lugo immer bei sich trug und auf dem er die Informationen aus seinen Fällen abgespeichert hatte. Zwei Tage später informierte mich ein Ermittler, der USB -Stick sei nicht aufgetaucht, Lugo habe lediglich einen Geldbeutel und einen Kugelschreiber bei sich getragen. Der Mord wurde bis heute nicht aufgeklärt.
Vor Lugos Ermordung hatte ich beschlossen, meine Untersuchung fortzusetzen. Ich war nach Monterrey, Hauptstadt des Bundesstaates Nuevo León, gereist, um vor Ort einige Informanten zu interviewen. Ein Kollege von der Tageszeitung
Milenio
fragte mich, ob ich Gerüchte gehört hätte, nach denen Familienmitglieder des Gouverneurs ein Netzwerk von Menschenhändlern organisierten. Ich antwortete, dass ich die Sache untersuchte, aber bisher nur Zeugenaussagen hatte, aber keine handfesten Beweise.
Danach sprach ich mit Gamaliel López, einem sehr aktiven und adrenalinsüchtigen jungen Reporter des Fernsehsenders TV Azteca. Er war ein Experte für Polizeinachrichten und kannte jeden Winkel von Nuevo León sowie sämtliche Namen der Polizeibeamten, die Schlepperbanden deckten. Er hatte mich ein Jahr zuvor kontaktiert, nachdem ich den ersten Prozess gegen die Mafia der Menschenhändler und den Millionär Kamel Nacif gewonnen hatte. López hatte Videos von einer versuchten Entführung, die gewisse Ähnlichkeiten mit meiner Entführung hatte und die von Nacif und dem Gouverneur des Bundesstaates Puebla arrangiert worden war. Einige Kollegen hatten mich vor Gamaliel gewarnt und angedeutet, er könne käuflich sein. Aber wenn man in derart trüben Gewässern wie dem organisierten Verbrechen und der Korruption fischt, lassen sich die Risiken letztlich nie kontrollieren.
Diesmal bot mir Gamaliel seine Hilfe an. Er hatte Informationen, die mir weiterhelfen konnten und die er nicht in Monterrey veröffentlichen wollte. Er gab mir Fotos von einigen Nachtclubs, in denen Minderjährige ausgebeutet wurden: Dort gebe es Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren, überwiegend Mexikanerinnen, aber auch einige Mädchen aus Brasilien. Sie produzierten Kinderpornos mit einem Unternehmen namens Rua de meninas aus Rio de Janeiro. Wir vereinbarten, dass jeder seine Spuren verfolge und wir uns später telefonisch austauschten. Wie so viele Journalisten in Mexiko hatte er bereits einige Morddrohungen erhalten, weshalb wir vereinbarten, dass er mich zwei Wochen später von einer öffentlichen Telefonzelle aus anrufen würde.
Am 4 . Mai schrieb mir Gamaliel in einer E-Mail, er wolle mir wichtige Informationen zu dem Fall schicken. Am 10 . Mai wurden Gamaliel López Candanosa und sein Kameramann Gerardo Paredes Pérez vom Sender TV Azteca Noroeste von einem Autokonvoy entführt. Sofort startete die Organisation Reporter ohne Grenzen, eine französische Nichtregierungsorganisation zum Schutz der Pressefreiheit, einen
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