Sklavin der Hölle
Frühling war nicht zu entdecken. Dafür bewegten sich dunkle Vögel durch die Luft, und wenn ich sie sah, musste ich an die verdammte Vogelgrippe denken, die bereits das Festland erreicht hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie auch in England auftreten würde.
Dass wir mit einer Leiche im Kofferraum unterwegs waren, passierte auch nicht oft. Ich ging davon aus, dass sie für uns noch sehr wichtig werden konnte. Jeder Mensch hat einen Hintergrund. Der wird nicht einfach in die Welt gestellt. Lina Davies war sechsundzwanzig Jahre alt gewesen, wie ich aus den Unterlagen entnahm. In der Zeit konnte sie schon einiges erlebt haben und war sicherlich mit Leuten zusammengetroffen, die sie letztendlich auf den falschen Weg gebracht hatten.
Ich hatte Zeit und blätterte die Unterlagen durch. Aus den persönlichen Daten erfuhr ich zudem den Beruf. Lina Davies hatte als Friseurin ihren Lebensunterhalt verdient. Gewohnt hatte sie in London. Im Stadtteil Southwark. Dort waren die Mieten noch einigermaßen bezahlbar.
Über Kontakt zu Freunden und Bekannten erfuhr ich natürlich nichts. Auch von den Eltern war nichts geschrieben worden, ebenso wenig von Freunden und Bekannten.
Ich erfuhr aus den Unterlagen auch nicht, wie sie überhaupt in diese Lage hineingerutscht war. Da stand ich vor einem Rätsel und musste mich auf das verlassen, was uns der Klinikchef gesagt hatte. Er hatte gehört, dass sie vom Teufel sprach und sich als Sklavin der Hölle fühlte. Genau das musste einen Grund haben.
Suko sah, dass ich den Kopf schüttelte und fragte deshalb:»Schlechte Karten, John?«
»Sieht ganz so aus.«
»Wo fangen wir an?«
»Bei ihren Eltern, wenn wir sie denn finden. Aber auch die Umgebung, aus der sie kommt, ist eine Suche wert. Sie hat in Southwark gelebt. Möglicherweise finden wir dort eine Spur. Hier ist ein Arbeitgeber angegeben. Es gibt sicherlich Kollegen und Kolleginnen und...«
»Also die ganze Straße rauf und runter.«
»Sieht so aus.«
Suko blies seinen Atem gegen das Lenkrad. »Dass wir uns geirrt haben, ist wohl nicht der Fall. Immerhin ist sie plötzlich gealtert und ums Leben gekommen, als sie dein Kreuz sah. Also hat sie doch etwas mit der Hölle zu tun.«
»Hast du etwas anderes angenommen?«
»Nein, das nicht. Ich hatte nur gehofft, dass es sich als harmlos herausstellt.«
»Glaub es nur nicht.«
»Und geht dir schon etwas Konkretes durch den Kopf?«
Ich winkte ab. »Nein. Wenn ich das fachchinesisch hier richtig verstehe, geht aus den Unterlagen hervor, dass sich Lina Davies plötzlich so verändert hat, dass nur die Einweisung in eine Klinik blieb. Und auch da ist man nicht mit ihr zurecht gekommen.«
»Das heißt, man hat eine derartige Patientin noch nicht erlebt.«
»Kann man so sagen, Suko.«
»Okay, dann wollen wir mal sehen, wie es weiterläuft. Vielleicht erhalten wir in London eine bessere Auskunft.«
Optimistisch waren wir beide nicht. Auch unser Gespräch schleppte sich nur so dahin. Irgendwie fühlten wir uns beide wie zwei einsame Wanderer auf leerer Strecke, die nicht wussten, wohin es gehen sollte.
Zunächst zur M11, und die war bereits ausgeschildert. Auf dieser Strecke hatten wir uns bisher allein bewegt. Es gab keinen Gegenverkehr, und wir wurden auch nicht überholt, es blieb alles im Rahmen einer leer und trostlosen winterlichen Landschaft, die für uns nur Kulisse war.
Wenn wir nach links und über die flachen Felder hinweg schauten, war bereits die Autobahn zu erkennen.
So nah sie auch war, um sie zu erreichen, mussten wir schon ein paar Kurven fahren, um danach erst die Gerade zu erreichen, die uns zur Auffahrt brachte.
Ich hatte mir vorgenommen, Sir James anzurufen, wenn wir auf der Bahn waren. Er könnte dann schon die Pathologen darauf vorbereiten, dass sie die Tote untersuchen sollten.
Lina Davies Zustand wollte mir nicht aus dem Kopf. Und natürlich auch ihre Verwandlung nicht. So stellte sich automatisch die Frage, ob sie wirklich schon eine Greisin gewesen war und nur durch irgendwelche Kräfte der Hölle jung gehalten worden war, oder ob dieses schnelle Altern eine andere Ursache hatte.
Wenn ja, konnte das tatsächlich auf eine Manipulation der Hölle hindeuten.
Suko lenkte den Wagen in eine Kurve. Ich bekam es nur am Rande mit, wurde aber hellhörig, als ich seine Verwünschung hörte.
Ich riss die Augen auf und schaute durch die Frontscheibe.
An der linken Seite der Straße stand ein Transporter. Das wäre nicht weiter tragisch gewesen, aber
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