Sklavin des Herzens
»Sie bluten!«
Das klang wie eine Beschuldigung. Derek schaute auf seine Brust herab, doch er wußte, daß die Verletzung nicht gefährlich war. »Das ist nichts.«
»Warum hat er … Wie konnte das … Wo, zum Teufel, sind Ihre Wächter?« stammelte sie, und Ärger löste ihre Furcht ab.
»Ich glaube, ich drohte ihnen, sie bei lebendigem Leibe zu häuten, wenn sie mich heute abend aus irgendeinem Grund stören würden. Offensichtlich nahmen sie mich beim Wort. Zudem sind sie taubstumm und können nichts hören.«
»Mein Schrei war laut genug, um die Wächter am Ende der Halle zu mobilisieren.«
Derek grinste. »Meine Türhüter hätten sie nicht hereingelassen, selbst wenn sie auf deinen Schrei reagiert hätten, was jedoch unwahrscheinlich ist, denn alle im Palast wissen, welche Schwierigkeiten ich mit dir habe.«
Sie überging die Anspielung, daß ihr Schrei nur bedeuten konnte, Jamil habe die Geduld mit ihr verloren. »Wie ist er nur hereingekommen?« Sie betrachtete schaudernd den Mann, der bewegungslos in einer großen Blutlache lag und aus dessen Brust der Dolch herausragte.
»Eine gute Frage.«
Chantelle sah zu, wie Jamil zur Tür ging. Sie vermutete, daß die Wächter wohl tot sein müßten. Doch sie waren es nicht. Sie strömten nun herein, und viele andere folgten ihnen. Die persönlichen Aufpasser des Herrschers hielten sich noch im Garten auf, wohin er sie verbannt hatte. Das hieß, daß eigentlich alle Eingänge hätten bewacht sein müssen, aber offenbar nicht besonders gut. Dann wurde das Seil gefunden, das neben den Gartentüren baumelte. Es erklärte wenigstens, wie der Verbrecher so weit in den Palast hatte vordringen können, doch nicht, warum die Nubier ihn bei seiner Klettertour von dem hohen Dach herunter nicht gesehen hatten.
»Ich bin selbst schuld.« Der Herrscher entlastete sie einem älteren Mann gegenüber, der hinter den Wächtern hereingekommen war und betroffener als alle anderen wirkte. »Ich befahl ihnen, sich von den Türen fernzuhalten und nur an den Gartenmauern entlangzupatrouillieren.«
»Sie haben sich freiwillig einer Gefahr ausgesetzt?« meinte der alte Mann ungläubig.
Jamil sagte etwas, das Chantelle nicht hörte, doch sie errötete wütend, als der Alte sie anschließend mit Abscheu musterte. Wer immer er war – er machte sie verantwortlich, wie jeder im Palast ihr zweifellos die Schuld an dem geglückten Überfall geben würde.
Mehrere Ärzte bemühten sich um die Wunde des Herrschers. Auch der Tote wurde examiniert. In seiner Tasche fand man einen schweren Beutel mit Münzen, aber sonst nichts.
Chantelle blickte zur Seite. Ihr Ärger war Schuldgefühlen gewichen. Die volle Erkenntnis der Ereignisse traf sie hart. Jamil hätte sterben können. Mein Gott, beinahe hätte sie ihn getötet.
Sie sah auf und bemerkte, wie einer der Ärzte Jamil etwas ins Ohr flüsterte. Chantelle erbleichte, und ihr Magen revoltierte. Was war, wenn er glaubte, sie habe den Herrscher absichtlich verletzt, habe die Gelegenheit nutzen wollen, sich von ihm zu befreien? Würde Jamil das ebenfalls annehmen? Hatte sie ihm nicht gerade heute abend gesagt, sie würde ihn hassen? Sie hatte keinen Grund gehabt, ihm zu helfen, jedenfalls keinen, der einleuchtete.
Die Leiche wurde aus dem Raum geschafft, das Blut vom Fußboden gewischt und die aufgeschlitzten Kissen durch neue ersetzt. Chantelle blieb mit dem Rücken zur Wand in ihrer Ecke sitzen. Sie dachte an ihre ärgerliche Bemerkung Kadar gegenüber, daß man ihr heute abend den Kopf abreißen würde, und daran, daß diese bedrohliche Möglichkeit nun wirklich bestand.
Schließlich blieben nur mehr Jamil und die zwei Nubier in dem Raum. Der Herrscher leerte ein Glas Kanyak, das er bestellt hatte, und schickte dann die beiden Schwarzen in den Garten. Sie sträubten sich, wie Chantelle der Zeichensprache entnahm, die sie nicht verstand. Es lag ja nahe, daß die Wächter Jamil nicht schon wieder allein lassen wollten. Natürlich gehorchten sie am Ende und gingen hinaus.
»Warum haben Sie die Männer fortgeschickt?« fragte Chantelle, als Jamil sich ihr näherte. »Oder wollen Sie mich eigenhändig töten?«
Er sank vor ihr in die Knie, und seine Augen verengten sich. »Welche Dummheit …«
Chantelle ließ ihn nicht weiterreden. In Panik warf sie sich ihm an die Brust und klammerte sich an ihm fest.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie schluchzend vor seinem Hals. »Ich wollte Sie nicht verletzen, das schwöre ich. Ich zielte nach
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