Sklavin des Herzens
besaß nur mehr dieses kleine Hemd. Sie hatte Hakeems verhüllende Tunika verloren, als sie zum ersten Mal zu den Bädern geführt worden war und man ihre Kleidung zum Waschen mitgenommen hatte. Sie erhielt einen Satz sauberer Sachen zum Anziehen, die den ihren glichen, doch Hakeems Tunika wurde ihr nie zurückgegeben.
»Aber warum verschleierst du dich?« fragte die Französin.
»Man hat es mir befohlen, wenn Käufer hereingelassen werden. Sharif will nicht, daß mich jemand sieht, bevor ich verkauft werde.«
Jeanne rümpfte die Nase. »Man hätte mir auch einen Schleier geben müssen! Ich glaube nicht, daß ich es mag, wenn mich irgend jemand betrachtet.«
Chantelle lächelte beinahe über den hochmütigen Ton, bis sie merkte, daß Sharifs Kunde direkt zu ihr hinsah. Dann stockte ihr der Atem, als beide auf sie zugingen.
»Ist sie das?« fragte der Fremde, und der Blick seiner schokoladenbraunen Augen glitt sachlich und gelassen über Chantelle.
Hamid Sharif, ein kurzbeiniger, gedrungener Mann in mittleren Jahren, schien neben dem eindrucksvollen Burschen noch mehr zusammenzuschrumpfen. Für einen erfolggewohnten Händler, der immerhin hier der Herr im Hause war, machte er an diesem Abend einen höchst verängstigten Eindruck.
»Aber das ist regelwidrig, mein Lord«, entgegnete Sharif, der die Frage nicht unmittelbar beantwortete. »Ich habe wegen ihr eine Nachricht versandt. Ich habe Käufer, die aus Algerien kommen und …«
Der Fremde machte eine elegante Handbewegung, um Hamid Sharifs Klagen zu unterbrechen. »Wieviel?«
»Aber, Haji Agha, mein Lord, bitte, was soll ich den Käufern sagen?«
»Die Wahrheit – oder geben Sie ihnen eine andere, zum Beispiel die!«
Haji Agha deutete auf Jeanne Mauriac, und Sharifs Miene entspannte sich etwas. Die Französin mit ihrem honiggoldenen Haar war hübsch. Der Händler hatte schon vorgehabt, sie der privaten Versteigerung als Bonus zuzufügen, um die Bewerber zu besänftigen, die bei der Engländerin verloren. Die Französin war zwar älter und keine Jungfrau mehr, aber sie hatte auch blondes Haar.
»Wieviel?« wiederholte Haji Agha.
»Ich habe mir mindestens fünftausend Piaster vorgestellt.«
Der Schwarze zuckte nicht mit der Wimper. »Ich gebe dir drei.«
»Unmöglich! Mit weniger als viertausendfünfhundert bin ich nicht einverstanden.«
»Dreitausendfünfhundert und den Dank meines Herrn.«
»Wenn Sie es so ausdrücken, kann ich mich natürlich nicht weigern«, sagte Hamid Sharif mit einer Verbeugung, und als er den Kopf hob, lächelte er.
»Gut, das hat nicht lange gedauert«, meinte Jeanne, als die beiden Männer zu der angeketteten Prinzessin hinübergingen.
Chantelle sprach nicht sofort. Sie verspürte einen leichten Schock. Gerade war sie von einem Mann gekauft worden, der alt genug war, um ihr Großvater zu sein, einem Mann, der eine schwarze Hautfarbe besaß, etwas, das sie vor ihrer Ankunft an der Barbarenküste nie gesehen hatte.
»Ich … ich konnte nicht jedes Wort verstehen«, sagte sie, und ihre veilchenblauen Augen richteten sich auf Jeanne. »Hat der Mann wirklich mich gekauft?«
»Ja«, erwiderte Jeanne, die ihr Entzücken nicht verbergen konnte. »Und ich glaube, daß ich bei der Versteigerung deinen Platz einnehmen werde. Oh, das ist viel besser, als ich es erwartet habe. Und du, Kleine, brauchst dich nicht länger wegen der Demütigungen des Verkaufs zu grämen. Es ist vorbei. Du hast jetzt einen Herrn und Meister.«
Vorbei? Ja, das war es wohl. Sie brauchte nicht mehr Angst zu haben, daß man sie vor den Augen Dutzender von Männern nackt auszog – denn diese Angst war ihr trotz Jeannes gegenteiliger Versicherung geblieben. Vorbei. Verkauft. Und an einen alten Mann. Verkauft! Aber er war alt – vielleicht wünschte er sich nur das Privileg, ihr Besitzer zu sein. Würde so ein alter Mann überhaupt noch Frauen zu sich ins Bett holen?
»Ich frage mich, wer er ist, daß Hamid Sharif seinetwegen den Zorn seiner Kunden riskiert«, meinte Jeanne nachdenklich. »Er muß ein wichtiger Mann sein.«
Chantelle beobachtete die Männer, die offenbar noch einen Handel abgeschlossen hatten, diesmal den Kauf der Afrikanerin. »Was macht das schon aus?«
Die wenigen Türken und Araber, die sie seit ihrer Ankunft gesehen hatte, waren dunkelhäutige und dunkeläugige Männer, klein und drahtig oder klein und fett, mit scharfen, adlerähnlichen Zügen. Es hatte nur eine Ausnahme gegeben: den Türken, der eine Köchin gesucht hatte. Der
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