Sklavin des Herzens
freundlichere der beiden Wächter, die vor der Tür saßen, hatte Chantelle auf ihre diesbezügliche Frage hin zu erklären versucht, woher hellere Hautschattierungen rührten.
Früher waren die Türken eine Mischung aus rein orientalischem Blut gewesen: aus dem von Tataren, Mongolen, Tscherkessen, Georgiern, Persern, Arabern und Türken. Doch nach 1350, als sie ihre Grenzen auf das westliche Europa auszudehnen begannen, kam das Blut von Griechen, Serben und Bulgaren hinzu und damit eine Kultur, die so weltoffen war wie die der Griechen, Römer und Byzantiner. Hakeem hatte davon ebenfalls etwas erwähnt, da es sich auch auf die Barbarenküste hier bezog. In den vergangenen Jahrhunderten wurde immer mehr neues Blut hinzugefügt, von so weit entfernten Regionen wie England, den Niederlanden und kürzlich sogar Amerika. Doch das alles bewirkten die Sklavinnen, die in Harems landeten und ihren Gebietern Kinder gebaren.
Nun hatten die reichen und mächtigen Männer, deren Väter und Vorväter einen Harem voller hellhäutiger Konkubinen besessen hatten, nur mehr wenig orientalisches Blut in den Adern. Es war keine Seltenheit, daß der Sultan selbst durch rotes Haar oder blaue Augen auffiel. Ohne Turban auf dem Kopf konnte ein frommer Moslem leicht für einen Christen gehalten werden. Doch in den von Menschen wimmelnden Städten der Barbarenküste kam so etwas nicht sehr häufig vor. Hier überwog der neue Zustrom der Araber und Berber, die frisch aus der Wüste eintrafen und manchmal so dunkelhäutig wie ein nubischer Eunuch waren.
Bei der Menge, die den Hof gefüllt hatte, um Sklavinnen zu kaufen, war Chantelle natürlich nicht zum Bewußtsein gekommen. Doch sie war froh, daß der Mann, der sie gekauft hatte, so fremdartig wirkte. Sie hätte es gehaßt, in den Besitz eines europäisch aussehenden Burschen überzugehen, der ihr bei einer Begegnung auf einer englischen Straße wie ein Engländer erschienen wäre. Sie wollte zu diesem ihrem Besitzer absolut keinen Bezug haben.
Jeanne war so interessiert an den Vorkommnissen, daß sie Chantelles Frage überhörte. Chantelle war das nur recht. Sie wünschte sich gar keine Antwort, keine Belehrung darüber, warum Rang und Namen ihres Käufers wichtig sein mußten, da ihr diese Äußerlichkeiten in Wirklichkeit egal waren. Ob sie nun von einem Schafhirten oder dem Sultan persönlich erworben wurde – sie wurde als Ware behandelt, in Besitz genommen – als eine Sklavin. Niemand hatte sie gefragt, ob sie diese Rolle akzeptieren könne. Ihre Gefühle waren gleichgültig.
»Ah, du solltest aufstehen, petite. Ich denke, das ist für dich.«
Einer der Wächter kam auf sie zu. Er reichte ihr ein weites Gewand zum Anziehen. Sie zeigte sich gefügig. Ihren Kampfgeist wollte sie sich für entscheidendere Situationen aufheben, wie zum Beispiel die: wenn man versuchen würde, sie in das Bett dieses alten Mannes zu zwingen.
Jeanne erhob sich und umarmte sie zum Abschied, obwohl sie sich nur wenige Stunden gekannt hatten. »Viel Glück, meine Freundin.«
»Wenn du mir Glück wünscht, Jeanne, dann bete, daß ich fliehen kann.«
»Ah, petite, du mußt solche Gedanken aufgeben.«
Chantelle wandte sich ab. »Nur, wenn ich tot und begraben bin«, flüsterte sie vor sich hin und folgte dem Wächter, der sie aus Hamid Sharifs Haus führte.
15
Das versteckte Zimmer war durchaus keine einmalige Erfindung. Eines oder zwei gab es in fast jedem größeren Haushalt im Nahen Osten, und mehrere in einer königlichen Residenz. Im Palast des Herrschers befanden sich einige, von denen aus man den Audienz-, den Thron-, den Schul-, den Konferenzraum, in dem der Divan tagte, und sogar Jamils Schlafzimmer überblicken konnte.
Als Kinder hatten Derek und Jamil oft gespült, wie sie durch eine mit Holzgitterwerk getarnte Öffnung hoch oben in der Wand des Schulzimmers beobachtet wurden. Sie hatten gewußt, daß ihre Eltern ihre Studien überwachten, ohne die strenge Disziplin der Klasse zu stören. Mustafa hatte häufig gewisse Frauen seines Harems bestraft, indem er sie zwang, hinter dem geheimen Fenster seines Schlafzimmers zu sitzen und zuzusehen, wie er sich mit einer oder zwei anderen seiner Konkubinen vergnügte. Es hatte zum bevorzugten Zeitvertreib manchen Sultans gehört, einer Sitzung des Divans heimlich beizuwohnen, ohne daß die versammelten Mitglieder es merkten.
Derek stand leicht angelehnt vor der vergitterten Öffnung, die den Blick in den großen Raum freigab, in dem Jamil seine
Weitere Kostenlose Bücher