Sklavin des Herzens
Jahren für sich selbst gekauft hatte, und es konnte sich vielleicht leisten, soweit zu gehen. Safiye war klug genug, sich eine zukünftige Favoritin nicht zur Feindin zu machen.
Sie übersah die Ungezogenheit und meinte versöhnlich: »Ich hoffe, Sie verstehen die Situation, Haar, denn Ihr Leben hier wird nicht vergnüglich sein, wenn Sie nicht schnell lernen, was geduldet wird und was nicht. Wir haben Möglichkeiten, unakzeptierbares Benehmen zu verbessern, und Sie können nicht sagen, Sie seien nicht gewarnt worden. Morgen wird Lalla Rahine kommen, um Sie anzuschauen. Ich rate Ihnen, sich mit ihr anzufreunden, denn als mächtigste Frau im Harem kann sie viel für oder gegen Sie tun.«
»Ist sie die erste Frau des Regenten?«
»Seine Mutter.«
Guter Gott, er besaß sogar eine Mutter! Chantelle hatte irgendwie gedacht, er sei vom Teufel ausgebrütet worden – ohne Hilfe des schönen Geschlechts.
19
Die Dienerin wartete geduldig mit untergeschlagenen Beinen, eine kostbare Hermelinrobe über dem Arm. Es war nie eine leichte Aufgabe, Lalla Rahine anzuziehen, denn sie hatte immer soviel im Kopf, es gab so viele Unterbrechungen; vergessene Befehle weiterzuschicken, Bittsteller, die kamen und gingen. Doch heute war es besonders schlimm, weil die Mutter des Herrschers die neue Sklavin treffen sollte, die gestern abend in den Harem eingetreten war. Gerüchte kursierten über Chantelle, doch Lalla Rahine konnte noch keine Fragen beantworten, da sie das Mädchen selbst noch nicht gesehen hatte.
Zwei Frauen und drei Favoritinnen des Regenten waren an diesem Morgen schon da gewesen. Sie alle wollten dasselbe wissen: Warum hatte er dieses Mädchen gekauft? Hatten sie etwas falsch gemacht? War der Meister verärgert über sie?
Solche Fragen wären nie gestellt worden, hätte es sich nicht um Jamil Reshid gehandelt. Doch alle im Harem wußten, daß er nicht wie andere Männer war, die durch den Kauf neuer Frauen ständige Abwechslung suchten. Sie wußten auch, daß er seiner Mutter verboten hatte, neue Sklavinnen zu erwerben, ganz gleich, wie schön sie waren. Sie hatten angenommen, die Haremstore hätten sich für immer geschlossen.
Auch Lalla Rahine hatte das gedacht. Jamil hätte sich über ihren letzten Kauf freuen und das Mädchen zur Favoritin erheben können, doch er war alles andere als begeistert gewesen.
Die Dienerinnen, die darauf warteten, Lalla Rahine fertig anzukleiden, hätten ebensogut nicht vorhanden sein können, so wenig nahm Rahine sie wahr. Sie kniete auf ihrem Gebetsteppich und hielt den Kopf gesenkt, das reine Abbild einer frommen Moslime. Aber sie betete nicht. Vor Jahren war sie zum Islam übergetreten, doch es gab Zeiten, in denen sie neben Gott einen anderen Kommunikationspartner benötigte. Sie wendete sich so oft an ihn, daß sie häufig mitten in ihrer Tätigkeit innehielt und zwischen den Gebetsrufen auf den kleinen Teppich sank.
Doch niemals hatte sie Frieden in diesen improvisierten Meditationen gefunden – und er würde ihr auch nie zuteil werden. Sie war eine Frau, die von früheren Fehlern gequält wurde, die sich nicht mehr berichtigen ließen. Und sie würde die eine Person nicht mehr wiedersehen, die ihr vergeben konnte, was sie getan hatte, die ihr Ruhe für die restlichen Jahre ihres Lebens schenken konnte. Es war ihr zweiter Sohn Kasim, mit dem sie in Gedanken redete, um den sie weinte und den sie anflehte. Ihre geheimen Fragen drehten sich immer und immer wieder um dasselbe, doch eine Antwort konnte sie nicht erringen.
Oh, Gott, Kasim, hast du mir verziehen? Dein Bruder hat es nicht, und er versäumt nie, mich das spüren zu lassen. Seine Liebe zu mir starb an dem Tag, an dem ich dich fortschickte. Also blieb mir nicht einmal diese Liebe als Trost. Und auch du mußt mich hassen. Haßt du mich? Weißt du, wie traurig ich war, wie sehr ich dich vermißte, wie bald ich bereute, was ich getan hatte? Damals erschien es mir wichtig, dich gehen zu lassen, aber ich war jung und dumm und klammerte mich noch an meine Vergangenheit, an den Vater, den mich vergessen zu lassen Mustafa nicht gelang.
Ich weiß nicht einmal, ob mein Vater noch lebt. Falls Jamil es weiß, sagt er es mir nicht. Er hat mir auch nie gesagt, ob du seine Briefe beantwortest. Aber du lebst noch irgendwo. Wenn es nicht so wäre, würde ich es fühlen. Könnte ich doch auch fühlen, daß du mir vergeben hast. Könnte Jamil mir doch vergeben. Aber ich darf keinem von euch Vorwürfe machen, kann ich mir doch selbst
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