Sklavin des Herzens
Bewegungen und ein gewisser Stolz in der Art, wie sie sich aufrecht hielt, kamen hinzu. Und mit einer kräftigen Ernährung konnte ihre Figur verbessert und begehrenswert gemacht werden. Hier wurden Blondinen von fast allen Männern bewundert. Ja, sie konnte eine perfekte Schönheit werden, ein Geschenk, das des Sultans wert war.
»Sie sind Engländerin, nicht wahr?« fragte Rahine plötzlich.
»Und dabei dachte ich, mein Französisch sei ausgezeichnet.«
Rahine lächelte tatsächlich. »Ihr Witz ist erfrischend, Kind, aber passen Sie auf, bei wem Sie ihn anbringen. Nur wenige Moslems haben einen Sinn für Humor, der nahe an der Grenze zur Frechheit liegt.«
Das war wohl als subtile Schelte gemeint. »Ich werde es mir merken.«
»Gut. Nun wird Safiye Ihnen eine persönliche Dienerin zuteilen, und Sie bekommen eine Lehrerin, die Sie in Ihre Pflichten einweist. Ich schlage jedoch vor, daß Sie sich zuerst bei Safiye entschuldigen, sonst wird sie die langweiligste Sklavin des Harems für Sie aussuchen. Geben Sie ihr das.«
Rahine griff in eine Tasche und holte einen kleinen Beutel mit Münzen hervor. »Dieses Geschenk wird ihre momentane Verärgerung beschwichtigen. Behalten Sie den Rest für andere Gelegenheiten!«
»Eine Bestechung?«
»Bestechung gehört hier schon so lange zum Leben, daß das Weltreich ohne sie nicht bestehen könnte. In einem Harem ist es auch nicht anders, doch wir reden von einem ›obligatorischen Geschenk‹. Man besucht niemand, ohne eine kleine Gabe mitzubringen. Wenn man einen Wunsch hat, muß man für dessen Erfüllung bezahlen.«
»Wie kann ich es dann anstellen, statt der Vorhänge eine solide Tür mit einem Schloß zu bekommen?«
Rahine lachte – eine bemerkenswerte Begebenheit, nur wußte Chantelle das nicht. Die ältere Frau wünschte sich beinahe, die junge Engländerin würde bleiben. Es gab noch eine zweite im Harem, aber sie besaß nicht diesen lebendigen Geist, der Erinnerungen an die Heimat weckte.
»Da gibt es keine Möglichkeit, jedenfalls nicht in diesem Hof. Türen mit Schlössern findet man nur im Hof der Favoritinnen, wo die Frauen sich das Privileg einer kleinen Privatsphäre verdient haben.«
Und sie zahlten weiter dafür, mit ihrem Körper! Chantelle würde Sich damit abfinden müssen, keine Tür zu haben. Es war nicht ratsam, sich diese Frau zur Feindin zu machen. Rahine durfte nicht wissen, wie sehr Chantelle diesen Ort verabscheute – oder ihren Sohn Jamil, jedenfalls nicht eher als absolut notwendig.
20
»Ich glaube es nicht!« stieß Rahine erregt hervor.
Sie sprang auf und begann in des schwarzen Chefeunuchen Kaffeeraum, einem von zahlreichen Zimmern seiner Suite, die neben dem Haremstor lag, hin und her zu laufen. Doch es war ein kleiner Raum, nicht bestimmt für nervöses Herummarschieren. Der Marmorboden war poliert und glatt, und das niedrige Sofa sowie der runde Tisch nahmen fast allen Platz ein.
Rahine gab das Wandern auf, als ihr Schienbein gegen den Tisch stieß und sich Kaffee über das Tablett mit dem unberührten Gebäck neben Haji Aghas Wasserpfeife ergoß. Er machte keine Bemerkung, als sie sich zu ihm auf das Sofa setzte, obwohl dieser Gefühlsausbruch ihr nicht ähnlich sah.
»Nun?« meinte sie. »Sagen Sie mir, daß ich Sie mißverstanden habe!«
Haji lächelte. Das war das Feuer der jungen Rahine, mit der er sich vor mehr als dreißig Jahren angefreundet hatte, nicht die ruhige, unerschütterte Beherrschung der mächtigsten Frau in Barka.
»Ich bezweifle, daß Sie mich mißverstanden haben, Rahine. Jamil möchte, daß ihre Lehrzeit um die Hälfte gekürzt wird. Er will, daß sie sobald als möglich für ihn bereit ist.«
»Ich glaube es immer noch nicht«, entgegnete sie, jedoch mit weniger Überzeugung.
»Dachten Sie, sie sei nicht für ihn?«
Rahine schnitt eine Grimasse. »Genau das dachte ich, als ich die Engländerin in Augenschein genommen hatte. Ging es Ihnen nicht ebenso?«
Haji zuckte die Schultern und griff nach dem langen Stiel seiner Huka. »Vielleicht. Aber er rief mich schon früh heute morgen. Er vertraute die Nachricht nicht einmal einem Boten an.«
Rahine lehnte sich gegen die mit silbernen Quasten verzierten Kissen zurück. »Ich verstehe es nicht, Haji. Hat mich das helle Haar des Mädchens so blind gemacht, daß ich anderes Wichtiges übersah?«
»Sie ist unterernährt – nicht mehr. Genügend in Sirup eingeweichtes Brot wird da schnell Abhilfe schaffen.«
»Sie war mir sympathisch«, meinte Rahine
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