Sklavin des Herzens
»Welchem Zweck?« Das junge Mädchen zögerte noch immer mit der Antwort. »Muß ich Jamils Mutter fragen?«
»Nein. Das dürfen Sie nicht. Lalla Rahine hat Mara noch nie gemocht.«
»Nun, also?«
Adamma senkte den Kopf. »Mara … sie hat einen Spitznamen… ›der Schandpfahl‹.«
Die Kleine erwartete, daß dies alles erklären würde. Chantelle begriff. »Heißt das, daß Jamil sie schlägt?«
»Nicht er«, erwiderte Adamma schnell. Langsam fügte sie hinzu: »Seine stummen Diener tun es.«
»Warum, um Himmels willen?« rief Chantelle empört. »Macht sie Schwierigkeiten?«
»Überhaupt nicht«, erklärte Adamma. »Sie hat nur eine Eigenart: Sie kann am Sex nur Vergnügen finden, wenn man ihr vorher irgendwie Schmerzen zufügt.«
»Das ist absurd!«
»Es ist wahr, Lalla. Sie geht lächelnd zum Herrscher und kommt lächelnd zurück. Die Wunden bedeuten ihr nichts. Meine Mutter sagt, daß Maras erste Erfahrung mit einem Mann aus Gewalt bestand und daß sie dennoch Freude daran hat.«
»Die erste Erfahrung mit Jamil?«
»Nein. Mara wurde von dem Sklavenhalter vergewaltigt, der sie nach Barka brachte.«
»Aber ich dachte, Jamils Frauen seien alle Jungfrauen gewesen, als sie herkamen.«
»Mara war noch Jungfrau«, entgegnete Adamma. »Sie wurde auf eine andere Art vergewaltigt.«
Was sich Chantelle nun vorstellte, war unerträglich. »Aber Jamil läßt sie immer noch schlagen, ehe er … ehe …«
Adamma nickte und ersparte Chantelle die Beendigung des Satzes. »Anders kann sie keinen Genuß finden. Und der Herrscher ruft sie nur, wenn seine Stimmung schrecklich ist. Sie fühlt sich glücklich, und sein Zorn wird erleichtert. Erkennen Sie nun den Zweck, dem sie dient? Seine üble Laune wird nicht an seinen anderen Frauen ausgelassen, und Mara bekommt, was sie sich wünscht.«
»Es ist ekelhaft«, sagte Chantelle ruhig.
»Aber wem tut es weh, Lalla?«
Anscheinend niemand, dachte Chantelle, aber sie war entsetzt. Natürlich brauchte es sie nicht zu verwundern. Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, daß das Auspeitschen einer Frau Jamil nichts ausmachte.
Sie war beinahe dankbar, daß man sie daran erinnerte, wie grausam er sein konnte. Da sie das vergessen hatte, war sie ihm heute morgen gefährlich willig entgegengekommen. In Zukunft Schluß damit!
»Lalla?«
»Ja?«
»Sie können sich jetzt noch drei Sklaven aussuchen. Ich schlage vor …«
»Moment«, unterbrach Chantelle sie erstaunt. »Wer sagt, ich soll noch mehr Diener haben?«
»Es ist der Brauch.«
Chantelle furchte die Stirn. »Du hast mich Haji Agha erklären gehört, daß mein Hiersein gegen die Bräuche verstößt. Ich habe mir sozusagen keine besonderen Privilegien verdient und beabsichtige auch nicht, sie mir noch zu verdienen.«
»Das dürfen Sie nicht sagen, Lalla. Wenn der Herrscher Sie nicht mehr zu sich ruft, werden wir zu den unwichtigen Konkubinen zurückgeschickt.«
Adammas Gesichtsausdruck nach zu schließen mußte das um jeden Preis verhindert werden. Chantelle verstand den Wunsch des Mädchens hierzubleiben. Wenn eine Konkubine aufstieg, stiegen auch ihre Diener in der Rangordnung der Sklaven auf. Aber die Diener mußten sich nicht mit dem Herrscher abgeben. Sie wünschte, Adamma könnte ihr Bestreben verstehen, zubleiben. nicht hier-
»Lalla Haar?«
Würde sie heute keine Gelegenheit bekommen, in Ruhe über die neue Situation nachzudenken? Chantelle drehte sich um und betrachtete den Neuankömmling finster, der im Türrahmen stand. Sie hatte ihn noch nicht gesehen, aber er war zweifellos ein Eunuche, denn normale Männer durften den Harem nicht betreten, auch nicht als Diener. Nur war dieser Typ hellhäutig und wirkte sehr einflußreich in seinem fließenden, pelzbesetzten Gewand und dem hohen Turban.
Durch die Fenster sah sie verschiedene Ikbals, die im Hof standen und den Mann beobachteten. Sie konnten ihre Neugier nicht verbergen. Auch Adamma konnte es nicht. Kadar war ebenfalls wieder erschienen und stand direkt hinter dem Burschen, doch Chantelle entdeckte an ihm keine Neugier, nur eine Wachsamkeit, die sie aus unbekannten Gründen störte.
»Was ist?«
Der Mann verbeugte sich in aller Form. »Ich komme von Jamil Reshid.« Er breitete die Hände aus, auf denen eine flache Rosenholzschatulle von mindestens dreißig Zentimeter im Quadrat und mit Perlmutterrand ruhte. »Eine Empfehlung vom Herrscher, Lalla.«
Chantelle machte immer noch ein finsteres Gesicht, als sie das Kästchen entgegennahm, aber ihre Miene
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