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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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aber jetzt musste er es aufsetzen, es ging nicht mehr anders. Die Luft der frühen Morgenstunde jenseits der Terminaltüren hatte einen Biss an sich, ein Versprechen der rohen Kälte des nahenden Winters.
    »Netter Wagen«, meinte Marsalis beim Einsteigen.
    Er hatte den Beifahrersitz für sich in Beschlag genommen. Sevgi verdrehte die Augen und stieg hinten ein. Norton grinste sie im Rückspiegel an.
    »Danke«, sagte er und zog den Magantrieb hoch, als sie davonfuhren. Der Antrieb ließ nicht mehr so ganz das kehlige Röhren des Fahrzeugs aus der Zeit der Road Movies ertönen – in die Norton Sevgi hin und wieder mitschleifte, wenn sie in Programmkinos der Stadt liefen, aber der Wagen dröhnte recht angenehm, und sie fuhren die Ausfahrt immer schneller hinab. Der Flughafenkomplex fiel hinter ihnen zurück wie eine weggeworfene Elfenkrone. Norton hob erneut die Augen zum Rückspiegel. »Was unternehmen wir wegen der Unterkunft, Sev?«
    »Sie können mich zu einem Hotel bringen«, meinte Marsalis gähnend. »Was halt passt. Ich bin da nicht wählerisch.«
    Sevgi täuschte ihrerseits ein Gähnen vor und sackte im Sitz zusammen. »Darüber sprechen wir morgen. Zu viel Hin und Her, um das jetzt alles auf die Reihe zu bekommen. Sie können heute Nacht bei mir bleiben. Tom, ich bringe ihn mit und treffe dich im Büro zum Essen. Irgendwo im ersten Stock. Sagen wir gegen zwölf?«
    Der Blick aus dem Augenwinkel sagte ihr, dass Norton versuchte, im Rückspiegel Blickkontakt zu ihr aufzunehmen. Sein Gesicht hatte jenen sorgfältig reglosen Ausdruck, den er ihrer Ansicht nach immer dann zeigte, wenn jemand einen Fehler beging. Er setzte ihn oft bei Besprechungen mit Nicholson auf. Sie sah unbeirrt zum Seitenfenster hinaus.
    »Er könnte bei mir bleiben, Sev. So viel Platz habe ich.«
    »Ich auch.« Sie ließ es beiläufig klingen. Beobachtete nach wie vor das matt glänzende Metallband der Leitplanke, das sich geschmeidig in der Dunkelheit neben dem Wagen entrollte. Ein Tropfentaxi glitt auf der anderen Fahrspur vorüber. »Du brauchst allein eine gute Stunde, Tom, um den Müll wegzuräumen, den du in dem zusätzlichen Zimmer aufbewahrst. Ich muss bloß den Futon ausbreiten. Wirf uns nur raus, ist schon in Ordnung so.«
    Jetzt drehte sie sich um und begegnete seinem Blick im Rückspiegel. Hatte ebenfalls Pokerface aufgesetzt, genau wie er. Er zuckte mit den Schultern und stellte Musik an, uralten Punk aus der Sezessionsära, den niemand mehr spielte. Detroitus oder Error Code. Sevgi konnte die beiden Bands nie auseinanderhalten, obwohl Norton sich alle Mühe gab, es ihr zu zeigen. Sie richtete den Blick wieder nach draußen und ließ sich von der Giftigkeit überspülen, eingelullt von den vertrauten hoch steigenden Basslinien und den stotternden, hackenden Gitarrenklängen. Sie ertappte sich dabei, mit dem Mund Teile der Texte zu formen:
     
Got what you want at last, got your
Closed little world
Got your superhero right and wrong
And your fuckin’ flag unfurled.
     
    Marsalis beugte sich vor, las den Display des Abspielgeräts und sank ohne weiteren Kommentar wieder in seinen Sitz zurück. Wütendes Gitarrengejaule tönte aus den Lautsprechern. Der Wagen jagte weiter durch die Nacht.
    Als sie vor Sevgis Wohnhaus vorgefahren waren, stellte Norton den Motor ab und stieg aus, um sie bis zur Tür zu begleiten. Es war eine nette Geste, aber sie fühlte sich falsch an – Harlan hatte seit Jahrzehnten kein schweres Verbrechen mehr gesehen, und außerdem waren inmitten der Karbonfiberskelette der Marktstände bereits Gestalten mit Kisten zugange und bauten auf. In ein paar Stunden würde es hier lärmend und lebhaft zugehen. Sevgi machte sich im Geiste eine Notiz, darauf zu achten, dass sämtliche Fenster fest geschlossen wären, bevor sie schlafen ging. Sie lächelte Norton erschöpft an.
    »Danke, Tom. Du setzt dich besser in Bewegung.«
    »Okay.«
    Er zögerte.
    »Bis nachher in der Kantine«, sagte sie strahlend.
    »Ah, ja. Zwölf Uhr?«
    »Ja, zwölf ist ’ne gute Zeit.«
    »Wo möchtest du essen? Bei Henty’s oder…«
    »Ja, Henty’s.« Sie legte jetzt den Rückwärtsgang ein. »Hört sich gut an.«
    Er nickte langsam und kehrte zum Wagen zurück. Sie hob die Hand zu einer Abschiedsgeste. Er fuhr an, schaute sich um. Sie sahen ihm nach, bis er verschwunden war, bevor sich Sevgi der Tür des Gebäudes zuwandte und dem Scanner ihr Gesicht zeigte. Die Tür sprang unter einem hydraulischen Seufzen auf.
    »Sechster Stock«,

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