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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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Genehmigung zu erhalten, und als sie schließlich kam, war die Menge immer noch am Tor. Jemand hatte entlang der Straße große, tragbare LCLS-Lampen aufgestellt, die mit Autobatterien verbunden waren oder mit eigenen eingebauten Akkus brannten. Vom Turm aus wirkte es wie eine bizarre Freiluftgalerie, kleine Haufen von Gestalten, die sich vor jeder Lampe versammelten oder zwischen ihnen einhergingen. Das Parolenrufen hatte mit Einbruch der Nacht und dem Eintreffen dreier Tropfen der Staatspolizei, die mit Blaulicht angefahren kamen, aufgehört. Sie parkten jetzt inmitten der anderen Fahrzeuge, aber wenn die Beamten, die darin mitgekommen waren, irgendeinen Versuch unternahmen, die Menge zu kontrollieren, so gaben sie sich keine allzu große Mühe. Und die Medien waren anscheinend allesamt heimgefahren.
    »Hab so was schon früher gesehen«, bemerkte der Wächter auf dem Turm, ein schlanker Latino, der gerade für die zweite Nachtschicht eingetroffen war. »Normalerweise jagen die Staatsbullen sie davon, also gibt es keine schlechte Presse, wenn alles schief läuft. Wenn doch, senden sie am nächsten Morgen eine entschärfte Version. Tallahassee hat mit den meisten Netzwerken ein Abkommen, privilegierten Zugang zur Gerichtsbarkeit und so was. Niemand schert aus der Reihe.«
    »Ja«, polterte Marsalis, »verantwortungsvolle Berichterstattung. Das wird mir fehlen.«
    Der Nachtwind vom Meer her war kühl und schwach durchsetzt mit Salz. Sevgi spürte, wie er ihre Haarsträhnen an der Wange zauste, spürte gleichzeitig den Instinkt der Polizistin in sich erwachen. Sie unterließ es, sich zu ihm umzudrehen, und sprach in beiläufigem Tonfall.
    »Wird Ihnen fehlen? Wohin gehen Sie denn?«
    Er drehte sich um. Sie sah ihn von der Seite an, und ihre Blicke kreuzten sich.
    »Nach New York, stimmt’s?«, erwiderte er leichthin. »Territorium der Nordatlantischen Union, stolze Heimat der freien amerikanischen Presse.«
    Erneut sah sie hin, und diesmal schlossen sich ihre Blicke.
    »Versuchen Sie, mich zu verärgern, Marsalis?«
    »He, ich zitiere bloß den Touristenführer hier. Die Union ist der einzige Ort, wo Lindley gegen NSA immer noch in Kraft ist, oder? Die haben immer noch ihre Statue von Lindley oben im Battery Park, ›Verteidiger der Wahrheit‹ im Sockel eingraviert. An den meisten Orten der Republik, wo ich gewesen bin, haben sie diese Statuen runtergeholt.«
    Sie ließ ihn weitermachen, ließ die Polizistin in sich für den Augenblick wieder verschwinden, wollte sich später damit beschäftigen. Was das Übrige anging, so wusste sie nicht, ob sie die Ironie in seiner Stimme fehlgedeutet hatte oder nicht. Sie war genügend verärgert, dass es gut hätte sein können, vielleicht war er verärgert genug, dass er es ernst gemeint hatte. So oder so wäre es ihr egal. Nach einem langen Tag des Wartens war keiner von ihnen in der besten Stimmung.
    Sie ging zur anderen Seite des Turms, wechselte die Aussicht. Draußen, auf der entfernten Seite des Komplexes, zum Teil verdeckt durch die hoch aufragende Masse des Turms, brannten die Leuchtfeuer an der Landebahn in einem Grün. Sie waren weit genug entfernt, dass sie flackerten, als wären sie Scheite, die der Seewind immer wieder entfachte. COLIN schickte einen zugeteilten Direktflug, sodass sie noch eine Weile länger warten mussten, aber er war unterwegs und das Zuhause nur noch wenige Stunden entfernt. Sie spürte fast die rauen Baumwolllaken ihres Betts an der Haut.
    Wegen Marsalis würde sie sich später Sorgen machen.
    Nach einigen Minuten verließ er den Turm ohne weitere Bemerkung und stieg die vergitterte Treppe hinab. Sie sah ihm zu, wie er im Licht der Bodenbeleuchtung davonging, wieder zum Strand. Ein gemütlicher Gang, fast ein Schlendern, abgesehen von der kaum wahrnehmbaren Unentschiedenheit seiner Bewegung. Er sah sich nicht um. Die Dunkelheit unten am Strand verschluckte ihn völlig. Sie runzelte die Stirn.
    Später. Mach dir später Sorgen, Sev.
    Sie versetzte ihr Bewusstsein in einen neutralen Zustand und beobachtete die Lichter.
    Und da stieg der COLIN-Jet auch schon flüsternd aus der Wolkenunterseite zu ihnen herab, spärlich mit eigener Landebeleuchtung ausgestattet. Er setzte auf, lautlos aus dieser Entfernung, und kam herangerollt wie ein juwelenbesetzter Schatten.
    Sie gähnte und ging los, ihre Sachen holen.
    Während des Flugs nickte sie ein und träumte von der Statue Lindleys. Murat stand neben ihr im winterlichen Sonnenschein – wie er es

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