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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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getan hatte, als sie etwa elf gewesen war, aber im Traum war sie erwachsen – und zeigte auf die eingravierte Schrift im Sockel. Vor der unangenehmen Wahrheit gibt es nur eine einzige Zuflucht, und das ist die Ignoranz. Ich brauche nicht bequem zu sein, und ich werde keine Zuflucht suchen. Ich verlange zu wissen.
    Siehst du, sagte er, man braucht nur eine solche Frau.
    Aber als sie zur Statue Lindleys aufschaute, hatte sie sich in den schwarz skizzierten Täter aus dem Konstrukt von Montes’ Ermordung verwandelt, der mit erhobener Faust vom Sockel sprang.
    Sie fiel zurück und kämpfte wie aus dem Lehrbuch, blockieren und zupacken. Der Arm der Gestalt war glitschig in der Hand und endete jetzt nicht in einer Faust, sondern in einer griechischen Theatermaske aus Metall. Während sie mit der Skizze kämpfte, verstand sie mit der blitzartigen Logik des Traums, dass ihr Gegner die Absicht hatte, ihr die Maske aufs Gesicht zu drücken und dass es, sobald ihm das gelungen wäre, keine Möglichkeit mehr gäbe, sie wieder herunterzubekommen.
    Auf der anderen Seite des Parks schob eine Mutter ihr Baby in einem Kinderwagen entlang. Zwei Kinder saßen im Gras und ließen ihre glitzernden Mikrojägermodelle hoch in der Luft gegeneinander kämpfen. Die Finger glitten rasend schnell über die Steuerung im Schoß, die Köpfe waren wild unter den Headsets mit dem ausdruckslosen Gesicht nach hinten gekippt. Ihr eigener Kampf ging langsam vonstatten, träge, als versinke er im Schlamm. Der Konstrukt-Mörder war stärker als sie, schien jedoch kein Interesse an einem taktischen Vorgehen zu haben. Jede Bewegung, die sie vollführte, erkaufte ihr Zeit, aber sie konnte nichts Ernsthaftes erreichen, konnte die Umklammerung nicht lösen.
    Die Maske blockierte allmählich die Sonne auf ihrem Gesicht.
    Ich habe alles getan, was ich kann, sagte Murat erschöpft, und sie wollte weinen, konnte es jedoch nicht. Sie atmete jetzt schwer, ihr schmerzte die Kehle. Ihr Vater ging von ihr weg durch den Park zum Geländer und zum Wasser. Sie musste den Hals verdrehen, um ihn im Blick zu behalten. Sie hätte ihm etwas nachgerufen, aber ihr schmerzte die Kehle zu heftig, und sie wusste sowieso, dass es nichts Gutes einbrächte. Der Kampf erschöpfte sie allmählich, winzige Inkremente kündigten das letztliche Versiegen ihrer Kraft an. Selbst die Sonne wurde kalt. Sie kämpfte mechanisch, bitter, und die Maske über ihr…
    Das Flugzeug kippte ab und weckte sie.
    Jemand hatte die Kabinenbeleuchtung gedimmt, während sie geschlafen hatte, und das Innere des Flugzeugs war in ein Dämmerlicht getaucht. Sie beugte sich aus dem Sitz zum Fenster hinüber und spähte hinaus. Türme aus einem kristallenen Licht glitten unter der Scheibe dahin, rot besetzt mit Navigationslichtern. Dann die lange, dunkle Abwesenheit des East River, gestreift mit Brücken, die aussahen wie juwelenbesetzte Ringe auf einem schlanken und leicht gekrümmten Finger. Sie seufzte und sank in ihren Sitz zurück.
    Heimat. Was es auch immer einbringen konnte.
    Das Flugzeug flog wieder geradeaus. Marsalis kam aus dem vorderen Teil herein, vermutlich auf dem Weg zur Toilette. Er nickte zu ihr herab.
    »Gut geschlafen?«
    Sie zuckte mit den Schultern und log.

 
17
     
     
    Als sie endlich ausgestiegen waren und durch den verlassenen Terminal für Privatflieger am JFK gingen, war es fast drei Uhr morgens. Norton ließ sie vor der endlosen Reihe Glastüren in der Abholzone stehen und machte sich auf, seinen Wagen vom Parkplatz zu holen. Der ganze Bereich war voll von einer grellen, weiß erleuchteten Stille, die gerade am Rand der Hörbarkeit zu jaulen schien.
    »Wie lautet also der Plan?«, fragte Marsalis sie.
    »Der Plan lautet, sich etwas aufs Ohr zu legen. Morgen bringe ich Sie rüber zum Jeffersonpark und mache Sie mit unserer Kommandokette bekannt. Roth, Ortiz und Nicholson möchten Sie kennenlernen. Dann kümmern wir uns um Montes. Falls Ihre Theorie zutrifft, werden wir irgendwo in den Aufzeichnungen die Spur einer früheren Identität finden.«
    »Hoffen Sie.«
    »Nein, weiß ich«, erwiderte sie gereizt. »Niemand verschwindet mehr völlig, nicht mal in Angeline Freeport.«
    »Merrin hat das anscheinend geschafft.«
    »Merrin ist ein strikt vorübergehendes Phänomen.«
    Dann starrten sie wieder in entgegengesetzte Ecken des Terminals, bis Norton mit seinem Cadillac heranrollte, dessen Kühler aussah, als knurre er ständig. Er hatte das Verdeck bis vor wenigen Wochen fortgelassen,

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