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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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schlurfte über die verlassenen, weiß gepflasterten Höfe etwas abseits der Plaza de Armas, bevor die Sonne hoch genug am Himmel stand, dass sie förmlich glühten. Trotzdem hatte sie zum Schutz vor der Helligkeit eine Sonnenbrille mit großen Gläsern aufgesetzt, und ihr Schritt war schleppend, als herrsche eine große Sommerhitze oder als sei sie eine doppelt so alte Frau. Sie war nicht feinknochig gebaut oder gar sonderlich hellhäutig, wenn man ihre deutschen Vorfahren in Betracht zog, aber im Vergleich zu den beiden sonnengebräunten, muskelbepackten, massigen samoanischen Leibwächtern, die sie jeden Tag von der Limousine zu begleiten hatten, erschien sie zart und kränklich. Und als sie den Kreuzgang an der Ecke des Hofs erreichte, wo sich ihr Büro befand, unter dessen steinernes Dach trat und zur Bürotür hinaufging, zitterte sie heftiger, als es die meisten Menschen getan hätten. Der Oktober war eine Erkenntnis, eine hereinsickernde kalte Flut in ihrem Blut. Dunklere, kältere Tage kamen.
    In Europa drüben befand sich der Zyklus der Jahreszeiten, für den ihr Metabolismus ursprünglich ausgelegt worden war, bereits weit im Herbst und wand sich langsam dem Winter entgegen. Und du hast es nie so ganz geschafft, dich neu auslegen zu lassen, nicht wahr, Greta? Zuwenig Vertrauen in die hiesigen Anbieter – es war ein komplizierter Prozess, der sehr tief reichte – und zu wenig Bares oder zu wenig Zeit, um zurückzukehren und jemanden zu bezahlen, dem sie vertraute. Ja, und wenn du ehrlich bist, auch nie die rechte Zeit; zu verdammt beschäftigt, dann zu verdammt deprimiert, dann einfach zu verdammt schläfrig. Es war die übliche Klage der Hibs – zusammen mit den offensichtlicheren physiologischen Faktoren führte die hibernoide hormonelle Abfolge zu mentalen Schwankungen, die in ihrer Intensität fast bipolar waren. Über den gesamten wachen Abschnitt des Zyklus hinweg surrte sie wie ein überladener Magdrive-Dynamo, arbeitete, machte Geschäfte, tätigte Börsengeschäfte, lebte, jedoch immer zu geschäftig, zu geschäftig, zu geschäftig, um zu entspannen oder zu schlafen oder sich um kleinere Probleme Gedanken zu machen, wie zum Beispiel, das Leben zum Besseren hin zu verändern. Dann, wenn die hormonelle Tide abzuebben begann und es solchen Überlegungen schließlich gelang, vor ihre bewussten Sorgen zu kriechen, waren sie derart schwer mit einem Gefühl von damit einhergehender Erschöpfung angesichts unüberwindbarer Probleme verbunden, dass es ihr lediglich noch gelang, nicht in Tränen auszubrechen über die Sinnlosigkeit des Versuchs, gerade jetzt etwas dagegen zu unternehmen. Besser, es einfach zu überschlafen, besser, es einfach dieses Mal verstreichen zu lassen, es im Frühjahr neu anzugehen und…
    Und so ging es wieder von vorne los.
    Ein unseliger psychologischer Nebeneffekt, fuhr der trockene Text des Jacobsen-Protokolls mit erhobenem Zeigefinger fort, und etwas schwächend für die Betroffenen, jedoch kein Fehlschlag, mit dem dieses Komitee sich unnötig zu beschäftigen hätte, auch keine gesellschaftliche Bedrohung als solche.
    Etwas schwächend. Ja, ja. Ihre Finger drückten am Türcode-Paneel herum, langsam und plump, als ob sie nicht so richtig hier wären. Die Samoaner, Isaac und Salesi, standen mit versteinerter Miene daneben, beide seit ihrer Jugend Gorillas für die familia, lange geschult in so etwas wie Butler-Diplomatie, wenn es um die Pflichten als Begleiter ging – sie wussten es besser, als ihr Hilfe anzubieten. Sie war jetzt seit Tagen schlecht gelaunt, war bissig, fix und fertig am Ende ihres Wachzustands. Ihr Urteilsvermögen ging den Bach hinunter, ihre gesellschaftlichen Umgangsformen waren kaum mehr vorhanden. Unter normalen Umständen hätte sie die hiesigen Geschäfte bereits an einen von Mancos helleren Speichelleckern übergeben, den unausweichlichen Veränderungen ihrer Blutchemie nachgegeben und die kalte Flut in ihren Adern gegen eine Opiatwärme eingetauscht. Sie wäre bereits ans Haus gefesselt, unten in der Zuflucht in Colca, hätte herumgefuhrwerkt und sich auf den bevorstehenden langen Schlaf vorbereitet. Unter normalen Umständen müsste sie nicht…
    Er tauchte aus dem Nirgendwo auf.
    Sie trug nach wie vor ihre Sonnenbrille und sah so früh am Morgen bloß verschwommen, und so spät im Zyklus war zudem ihr Blickwinkel sehr eingeschränkt – nicht überraschend, dass sie es nicht mitbekam. Die erste Warnung war das Geräusch eines heftigen,

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