Skorpion
gerufen wurde. Als wäre das alles, zusammen mit dem frischen aristokratischen Verhalten und der einstudierten Ruhe bei einer Pressekonferenz, bloß ein wesentlicher Bestandteil dessen gewesen, für das er letztlich gemacht worden war.
»Und die Nachrichten?«, fragte ihn Carl. »Die Presse?«
Norton schnaubte. »Oh, die Presse. Bringen Sie mich doch nicht zum Lachen!«
Carl kehrte zum Tisch zurück und starrte wieder zum Beobachtungsfenster hinaus. Oben und unten an den Autoschlangen strömte der Atem weiß aus den Mündern der uniformierten Einwanderungsbeamten, während sie brüsk in der eisigen Wüstennacht hin- und herschritten, sich herabbeugten und nach dem Zufallsprinzip einen Blick in die Fahrzeuge warfen, wobei sie lange, stählerne Stablampen an die Schulter hoben, wie eine Art Mini-Bazooka. Die Schlange erstreckte sich bis zur Brücke zurück, wo die Interstate 10 von Arizona unter einem Wirbel aus LCLS-Lichtern und umherwandernden Spots den Colorado überquerte. Die stachelbewehrten, hoch aufragenden Befestigungsanlagen rund um die Brücke verdorrten unter dem Licht zu schwarzen Silhouetten.
»Komm schon, Suerte!«, brummelte er. »Wo, zum Teufel, bleibst du?«
Auf der anderen Seite der Hängebrücke über den Cañon lungerten zwei bewaffnete Wächter herum, beide bis zur Unaufmerksamkeit gelangweilt. Sie gähnten und froren, die Waffen hatten sie umgehängt. Einer, der jüngere der beiden, ein Bursche, der kaum dem Teenageralter entwachsen war und Lucho Acosta hieß, saß auf einem Felsbrocken, wo der Pfad wieder begann, und warf müßig Steinchen hinab in den Fluss. Sein etwas älterer Begleiter stand still auf den Beinen, hatte sich jedoch gemütlich gegen die Taue auf einer Seite der Brücke gelehnt und rauchte eine selbstgedrehte Zigarette. Hin und wieder legte er den Kopf in den Nacken und sah aus dem Cañon zum Himmel hinauf. Miguel Cafferata war diesen Auftrag herzlich leid, er war es herzlich leid, hier unten begraben zu sein, eine gewaltige Tagesfahrt entfernt von den Lichtern Arequipas und seiner Familie, er war die kratzende, unförmige Weblarjacke herzlich leid, obwohl sie doch eigentlich körperbetont sein sollte, und er war Lucho herzlich leid, der anscheinend keine anderen Interessen im Leben hatte außer Football und Pornos. Miguel hatte das deprimierende Gefühl, dass er, wenn er seine Zeit mit dem Jungen verbrachte, auf ein Spiegelbild seines eigenen Sohnes in zehn Jahren blickte, und dieser Eindruck machte ihn gereizt. Als Lucho aufstand und nach oben zum Pfad hin zeigte, gab er sich kaum die Mühe, der Geste zu folgen.
»Maultiere kommen runter.«
»Ja, sehe ich.«
Damit war das Gespräch zwischen den beiden erschöpft; sie taten die letzten beiden Wochen jeden Tag denselben Dienst, dieselbe Schicht von der Dämmerung bis zum Nachmittag. Der Boss war nervös, der Ort sollte fest abgeriegelt bleiben, es sollte keinen unnötigen Wechsel der Wachen geben. Die beiden beobachteten schweigend, wie die einzelne Gestalt und die beiden Maultiere sich ihren Weg in der frühen Morgensonne die engen Serpentinen des Pfads hinab suchten. Es war ein ziemlich gewöhnlicher Anblick, und außerdem konnte man hier unten im Tageslicht sowieso nicht überrascht werden, außer vielleicht von Heckenschützen oder einem verdammten Luftschlag.
Selbst als der Maultiertreiber die letzten paar Serpentinen vor der Brücke hinabkam, spannte sich Miguel nicht sonderlich an. Nur ein Aufflackern von Interesse zeigte sich auf seinem wettergegerbten Gesicht. Hinter sich hörte er Lucho vom Felsbrocken aufstehen.
»Ist das nicht Sumarivas Maultier, da vorn?«
Miguel beschattete sich die Augen. »Sieht so aus. Aber das ist ganz bestimmt nicht Sumariva. Viel zu groß. Und sieh mal, wie der geht!«
Das war eine zutreffende Bemerkung. Die große Gestalt verstand eindeutig nicht, wie man einen Bergpfad hinablief. Sie schwankte heftig und schaufelte alle paar Schritte pulvrigen weißen Staub auf. Schien außerdem etwas zu humpeln, und sie hatte offenbar auch nicht viel Ahnung davon, wie man die Maultiere führte. Große, moderne Stiefel und ein langer Mantel, bedeckt mit dem Staub seines ungekonnten Abstiegs, dazu ein verbeulter Stetson. Unter dem Hutrand blitzte ein bleiches Gesicht hervor. Miguel grunzte.
»Das is’n verdammter Gringo«, bemerkte er neugierig.
»Glaubst du…«
»Weiß nich’. Sollen Ausschau nach einem schwarzen Typen halten, nicht nach einem Gringo und ein paar Maultieren. Vielleicht
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