Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
Bass und sang das hohe Lied auf die menschlichen Anwandlungen seines Mandanten, als würde er geradewegs mit ihm zusammen aufgeknüpft werden, wenn er nicht auch noch den letzten Strohhalm bis an die Grenze der Belastbarkeit ausreizen würde.
Nach einer Dreiviertelstunde kam Glimm zum Schluss. Er forderte ein Strafmaß an der unteren Grenze des Bemessungsspielraumes, betonte noch einmal, wie reumütig sein Mandant sei, dass er sogar den eigenen Tod als Erlösung von seiner Triebhaftigkeit in Erwägung gezogen hatte, und dass er bereit und willens war, sämtliche in Frage kommenden Therapien anzuwenden. Marks spielte brav mit, hockte wie das viel zitierte Häuflein Elend auf seinem Platz und drückte sich bisweilen sogar ein oder zwei Tränchen heraus.
„Eine wirklich schöne Geschichte, Herr Verteidiger.“ Die Staatsanwältin verzog ihre herrlich vollen Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Schade, dass Sie keine Beweise für Ihr anrührendes Märchen von der Selbstlosigkeit und der wiederentdeckten Menschlichkeit Ihres Mandanten haben. Ich hätte sonst wahrscheinlich tatsächlich echte Schwierigkeiten, Gernot Marks vor dem Bundesverdienstkreuz zu bewahren.“ Ihr Hüftschwung war sehenswert und eindeutig eleganter als das schwerfällige Schreiten des Verteidigers, als der zu seinem Tisch zurückkehrte und etwas aus seinem Aktenkoffer holte.
Glimm schenkte der Anklägerin einen bedauernden Blick und trug einen dicken Aktendeckel mit einer Feierlichkeit zum Richtertisch, als befände sich darin tatsächlich der höchste deutsche Orden.
„Ich beantrage die Aufnahme dieser Gutachten in die Prozessakten. Sie wurden nach eingehender Untersuchung des Frachtschiffes gefertigt, in dem mein Mandant bis zu seiner Verhaftung lebte und in welchem er Nadja Beck gefangen hielt.“ Richter Burgner bedachte den Verteidiger mit einem langen nachdenklichen Blick. Glimm erwiderte ihn mit der Gelassenheit des Siegers.
Viel Arbeit steckte in den mehr als 300 Seiten. Viel Arbeit und viele Runden auf dem Golfplatz von St. Leon-Rot. Dr. Kerschner vom Speyerer Institut für Materialprüfung hatte ein lausiges Handicap. Glimm musste sich wirklich anstrengen, um noch schlechter als der weißhaarige Physiker zu spielen. Mittlerweile war man allerdings schon per Du und hatte so manche Vorlieben entdeckt, die man gemeinsam hatte. Tagelang auf einem stinkenden Wrack am Neckarufer herumzuklettern, gehörte sicher nicht dazu. Auch das Bergen der Holzbohlen, welche sich glücklicherweise im Ufergestrüpp verfangen hatten, war nicht wirklich vergnüglich. In einer davon steckten noch zwei lange Schrauben. Massive Messingbolzen, deren Gewinde nicht beschädigt war. Von einer Dimension, die ein Herausschlagen der Bohle von der Innenseite des Schiffes her unmöglich scheinen ließ. Dass es nicht beim Schein blieb, dafür sorgte Kerschners Institut. Seitenweise Formeln, Diagramme, Drehmomenttabellen und Dokumentationen von Versuchen unter verschiedensten Bedingungen.
Ein anderer Ordner befasste sich mit der Psyche des Beschuldigten. Professorin Gerlinde Hackl-Röhnshagen von der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg bescheinigte Glimms Mandanten eine ausgewachsene Borderline-Störung, die autoaggressives Verhalten, Depersonalisations- und Derealisationsgefühle, Depressionen sowie extreme Idealisierungen oder Entwertungen als Hauptmerkmale aufwies. Sie bekräftigte ausdrücklich Marks’ Hang zu extremen Entscheidungen und schloss auch latente Suizidbereitschaft mit ein.
„Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Die Verhandlung wird am morgigen Tag fortgesetzt!“
Rücke vor bis auf Los!
Das Urteil gegen Gernot Marks erging drei Tage später. Im Namen des Volkes wurde Gernot Marks zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Stephan Glimm verzichtete auf einen Revisionsantrag, beglückwünschte sich selbst und seinen Mandanten zu diesem Ergebnis und holte sich am Abend eine blutige Nase beim Versuch, Sabine Arkadi abzuschleppen. Im übertragenen Sinne natürlich. Die Staatsanwältin hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihn für ein Arschloch hielt. Dave Brubeck hin oder her. Glimm tröstete sich mit einer Flasche Merlot, etlichen Willis und der gespannten Erwartung der morgigen Schlagzeilen.
Skandal war auf den Titelseiten der großen Blätter das meistgesetzte Wort. Die Redaktionen übten sich in seltener Einmütigkeit in Justizschelte. Die Abonnementzeitungen meist zurückhaltend und in
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