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Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Titel: Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krämer
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Nicht zu ihr natürlich, sondern zu dieser verhärmten schlaksigen Gestalt mit den verrutschten Socken und dem kindischen Reif in den zauseligen Haaren. Eva sollte sie heißen, ein schöner Name. Der erste Frauenname der Welt. Wenn man den Herren im Vatikan glauben durfte. Ein Name, vor dem kleine Mädchen keine Angst haben würden. Die Aufschrift auf einem Handwerkerauto brachte sie auch auf einen Nachnamen. Kottke. Ein Name wie eine Wurstbude. Da saß sie nun und wartete auf das Mädchen, das sie so begehrte. Nach dem sie sich in schlaflosen Nächten verzehrte, von dem sie immer wieder träumte.
    Doch das Mädchen kam nicht wieder. Es schien, als hätte sie eine geheime Stimme gewarnt. Nicht vor den bösen Onkeln … Nein, es sind nicht immer die Onkel, die Brüder, die Männer, die Väter und Cousins … Die Tanten sind es, auf die ihr aufpassen müsst! Hört ihr: die Tanten!

    Lieber Papa
    Das schreib ich für Dich. Das ist jetzt unser Buch. Ich weiß, dass Du das lesen kannst. Meine Lehrerin hat gesagt, wenn man etwas aufschreibt, dann bleibt das für immer. Ich glaube, sie denkt dabei eher an Hausaufgaben und so. Ich denk dabei an Dich. Weil ich Dich so lieb habe. Auch wenn Du nicht mehr bei uns bist. Du weißt, dass ich immer noch traurig bin, weil Du fort bist. Manchmal weine ich auch. Aber nur wenn ich alleine bin. Mama hat gesagt, dass Du schon weißt, wer Tom ist. Sie redet auch noch oft mit Dir und ich glaube, manchmal weint sie auch, obwohl sie doch schon groß ist. Tom ist nicht sein richtiger Name, aber ich nenne ihn so, weil er ein bisschen wie der Kater von Tom und Jerry aussieht. Er sagt auch immer Maus zu mir. Das ist dann unser Spiel. Tom wohnt jetzt bei uns und er ist ganz doll nett. Er kauft mir alles, was ich will, bis die Mama schimpft. Du darfst nicht böse sein wegen Tom. Er hat gesagt, dass Du wohl ein ganz besonderer Papa warst, weil Du so eine hübsche Prinzessin zur Tochter hast. Das bin ich. Tom sagt, vor dreihundert Jahren wäre ich bestimmt eine ganz richtige Prinzessin gewesen. Tom kann ganz tolle Geschichten erzählen. Sogar ohne ein Buch! Er hat zwar nicht so schöne Haare wie Du, aber dafür einen komischen Schnurrbart. Wie Tom der Kater. Er ist jetzt mein Freund. Mein großer guter Freund. Lieber Papa. Sei nicht traurig. Denn Du bist der einzige richtige Papa, den ich habe. Mama hat gesagt, Menschen wären nicht dafür da, alleine zu sein. Tom war aber ganz alleine gewesen. Er hatte nicht einmal mehr eine Mama. Aber jetzt hat er ja uns und ich glaube, dass er sich deswegen ganz arg freut. Er ist nicht mehr alleine und Mama und ich auch nicht. Ich glaube, das freut dich auch. Deine Cap. Die ganz glücklich ist
.

    An einem trüben Mittwoch war das Mädchen plötzlich wieder da. An der gleichen Stelle. Nur ein Lidschlag und die schmächtige Gestalt war scheinbar aus dem Boden gefahren. Eva hielt den Atem an aus Angst, die leiseste Bewegung könnte den Traum zerstören. Der Blick des Mädchens war zur Schaukel gerichtet. Eine alte Frau schubste ein quietschendes, etwa fünfjähriges Mädchen an. Daneben hing noch eine zweite Schaukel, doch das Mädchen am Klettergerüst wartete, bis die Frau mit dem Kind wieder gegangen war. Dann legte sie ihre Schultasche ab und schaukelte. Manchmal schloss sie dabei die Augen, warf den Kopf in den Nacken und öffnete den Mund. Doch kein Ton kam heraus. Kein Jauchzer, kein ausgelassenes Lachen. Sie war ein ernstes Mädchen. Das hatte Eva längst bemerkt.
    Ab und zu streifte sie ein Blick aus den großen Kinderaugen: prüfend, einordnend, doch stets auch Fluchtbereitschaft signalisierend. Das Mädchen kam nur mittwochs. Immer zur gleichen Zeit. Es blieb eine Stunde und ging dann wieder. Einmal war Eva ihr gefolgt. Ein Bus. Der Siebenundfünfziger. Sie hatte es nicht gewagt, zusammen mit dem Kind in den fast leeren Bus zu steigen. Auf dem Zielschild stand Lerchengrund. Auch eine dieser seelenlosen Trabantenstädte mit ausgebrannten Müllcontainern, verklebten Schaufenstern und demolierten Telefonzellen. Wohnte sie dort? War dort, sicher hinter Schloss und Sperrkette, ihr kleiner gemütlicher Hort mit Tierpostern, lustig bedruckter Bettwäsche und Bonbon-Schublade? Was mochte der Grund für diesen so unpassend erwachsen wirkenden Ernst in dem hübschen kleinen Gesicht sein?
    Eva nahm sich vor, das Mädchen anzusprechen. Doch wieder verging eine stumme Woche. Bis zu jenem Tag, als der Zufall in Gestalt dreier gelangweilter Bengels die Weichen stellte.

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