Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
Studer schüttelte nachdenklich den Kopf. Die junge Polizeimeisterin saß hinter dem Steuer des Streifenwagens und beobachtete zusammen mit ihrem Kollegen Sebastian Keller das Kommen und Gehen auf dem Spielplatz.
Keller setzte die Dose Cola ab und blickte sie fragend an.
„Was? Dass wir jetzt schon Muttis und Kleinkinder observieren?“
„Dass es eine Frau ist, auf die wir warten. Meine Eltern haben mich immer vor bösen Onkels gewarnt.“
„Das kommt vom Antidiskriminierungsgesetz. Demnächst werden in Damen-Toiletten Urinale eingebaut, damit sich niemand beschweren kann.“
„Nasenbär. Aber eine Frau mittleren Alters, die sich an kleine Mädchen ranmacht, ist zumindest ungewöhnlich.“ Sie brach abrupt ab, als ihr Kollege die Augen zusammenkniff und sie mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen brachte.
„Das Zeichen! Los!“ Kellers Stimme klang aufgeregt. Marliese schaute zu der kleinen Sitzgruppe in der Nähe des Klettergerüstes. Eine korpulente Frau hatte sich gerade erhoben und einen Pappbecher in den danebenstehenden Abfalleimer geworfen. Sie bewegte sich wie ferngesteuert, hob den rechten Arm mit dem Gefäß hoch über den Kopf und schleuderte es in den Behälter, als sei es der Korb der NewYork-Nicks. Anschließend drehte sie sich um und starrte zu ihnen herüber.
„Fehlt nur noch, dass sie mit den Armen wedelt oder auf den Fingern pfeift“, brummte Keller und setzte die Dienstmütze auf. Das Kind, um das es ging, trug eine neongrüne Regenjacke, mit der es auch gefahrlos auf dem Rollfeld eines Flughafens hätte spielen können. Es stand an einer der Wasserspritzen, mit denen man Tischtennisbälle in ein Loch bugsieren konnte. Eine Frau stand daneben und sprach mit dem etwa zwölfjährigen Mädchen.
„Das ist sie“, zischelte die rundliche Frau, als die beiden Polizisten sie erreicht hatten, „Meine kleine Rina hat erzählt, dass sie hier öfter auftaucht. Sie sagt, sie hieße Eva und sei ihre Freundin.“ Entrüstet stemmte sie die Arme in die Würste, die über den metallic blauen Leggings hervorquollen und sich deutlich unter dem dünnen Pulli mit DKNY Aufdruck abzeichneten. Die strassbesetzte Brille hätte an der Loren elegant gewirkt, hier vergrößerte sie nur die stechenden grauen Augen zwischen argwöhnisch zusammengekniffenen Lidern.
„Die Dame mit dem hellen Mantel?“, fragte Marliese und die modebewusste Mutti nickte, was ihrem Kinn zu vielen Duplikaten verhalf.
„Dame! Dass ich nicht lache. Die is’n Lockvogel oder was. Die ködert kleine Mädchen für so nen dreckigen Duttrux oder so.“
„Für wen?“ Keller hob belustigt die Brauen.
„Na, der Duttrux, der Mädchenmörder aus Belgien. Den sie immer im Fernsehen gezeigt ham.“
„Sie meint Dutroux“, half Marliese aus und deutete in Richtung der Wasserkanonen. „Stellen wir uns der Frau doch mal vor.“
„Bitte, warten sie hier.“ Keller konnte die vor Neugier fast berstende Frau nur mit Mühe davon abhalten, triumphierend vorneweg zu marschieren.
Die fremde Frau war jetzt vor dem Mädchen in die Hocke gegangen, hielt es an den Oberarmen und redete lächelnd auf es ein. Sie bemerkte weder die beiden Polizisten noch die neugierigen Blicke der anderen Leute.
„Guten Tag.“ Verwundert wandte die Frau den Kopf als sie angesprochen wurde. Marliese registrierte kein Erschrecken und auch keine Anzeichen für eine Fluchtreaktion. Die Frau runzelte die Stirn, ließ das Kind los und erhob sich aus der Hocke. Sie war erstaunlich groß. Marliese, die die Mindestgröße für den Polizeidienst um genau einen halben Zentimeter überschritten hatte, musste zu ihr aufblicken. Sie blickte in ein Gesicht, das alles Leid dieser Welt zu spiegeln schien. Scharfe Falten zwischen Mund und Nase, dunkle Schatten unter den Augen, zerzaustes, strähniges blondes Haar.
„Ja, bitte?“ Lupenreines Hochdeutsch, allerdings mit achtzig-Zigaretten-Tonlage.
„Mein Name ist Studer, das ist mein Kollege Keller. Allgemeine Personenkontrolle. Bitte zeigen Sie uns Ihren Ausweis.“
„Ist etwas passiert?“
„Reine Routine. Wir machen schwerpunktmäßige Stichproben“, erklärte Keller, der mit seinen ein Meter sechsundsiebzig noch ein Stück kleiner war als die verhärmt wirkende Frau in dem abgeschossenen dünnen Mantel.
„Wirst du jetzt verhaftet?“ Das kleine Mädchen schaute die Polizisten ängstlich an. „Das ist Eva, sie ist meine Freundin. Ihr dürft sie nicht verhaften!“ Keller, der selbst Kinder hatte, griff in
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