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Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Titel: Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krämer
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den Drang, das Mädchen an sich zu pressen und zu küssen. Dieser Blick! Sie war es! Mein Gott, sie war es!
    „Ich heiße Paula, Paula Boskow, mit „W“ hinten, aber das spricht man nicht aus. Mama sagt, wir sind ja keine Russen.“ Der tiefe Ernst, mit dem das Kind diesen Satz aussprach, zauberte ein erlösendes Lächeln in Evas Gesicht. Dann lachte sie befreit.
    „Natürlich. Keine Russen.“ Das Mädchen lächelte unter Tränen und Eva Kottkes Magen krampfte sich zusammen. Sie bot Paula an, sie nach Hause zu begleiten. Schweigend trotteten sie nebeneinander her. Wie Eva schon vermutet hatte, wohnte Paula ganz in der Nähe. Zwei Haltestellen später stiegen sie aus dem Siebenundfünfziger Bus. Sie begleitete das Mädchen bis vor die ziemlich zerschrammte Eingangstür eines Wohnblocks. Hannoversche Straße 28d, lautete die Adresse. Dutzende von Klingelknöpfen, die meisten Namensschilder leer oder verschmiert. Wer hier lebte, erwartete wohl selten Besuch.
    „Ist deine Mutter zu Hause, oder dein Vater?“ fragte Eva und der Blick des Mädchens wurde wieder abweisend. „Ich hab’n Schlüssel. Meine Mama kommt gleich. Papa ist weg.“ Eva verkniff sich ein Nachhaken. „Papa ist weg“ klang nicht danach, als sei er gerade Bier holen.
    „Soll ich bei dir bleiben, bis deine Mama heimkommt?“ Entschiedenes Kopfschütteln.
    „Das geht nicht. Ich darf nicht mit Fremden sprechen. Gehen Sie jetzt lieber.“ „Kriegst du keinen Ärger wegen der schmutzigen Sachen?“ Paula zog geräuschvoll die Nase hoch und schüttelte wieder den Kopf.
    „Dann geh ich wohl besser.“ Eva zögerte, „Paula?“
    „Ja?“
    „Darf ich dich mal besuchen? Ich meine, wenn deine Mama zu Hause ist.“
    „Warum?“ Eva biss sich auf die Lippen. Warum? Der wahre Grund, warum sie seit Wochen auf dem Spielplatz hockte, würde das Kind nur verstören.
    „Weil ich dich nett finde. Nett und …“
    „Sie kennen mich ja gar nicht!“
    „Ich würde dich aber gerne …“ Scheppernd fiel die Haustür ins Schloss. Eva Kottke trat einige Schritte zurück, legte den Kopf in den Nacken und blickte an der abweisenden grauen Fassade hinauf. Paula. Ein bemerkenswertes Mädchen.
    Müde aber seltsam zufrieden wandte sie sich zum Gehen. Dunkle Wolken zogen auf. Es würde bald wieder regnen. Egal. Eva tastete nach dem Gegenstand in ihrer Tasche. Die ersten Tropfen fielen. Sie lächelte. Ihre Finger schlossen sich um das leuchtend rote Etui in Herzform. Unbemerkt hatte sie es während der Einsammelaktion auf dem Spielplatz eingesteckt. Paula hatte den Verlust gar nicht bemerkt. Kein Wunder, bei dem Wust aus nassen und verdreckten Schulsachen, die sie in aller Eile in den ramponierten Rucksack gestopft hatten.
    In der Nähe gab es ein kleines, heruntergekommenes Einkaufszentrum. Zwei Taxen standen vor dem Haupteingang, die Fahrer rauchend daneben. Im Taxi nestelte Eva das kleine Plastikherz hervor. Sie rieb Reste von angetrocknetem Schlamm ab und klappte es auf. Fast hatte sie so etwas erwartet: Im Inneren befanden sich zwei kleine Klarsichtfächer. In einem steckte ein Zettel, auf dem in akkurater Schrift zwei Telefonnummern standen. Das andere enthielt ein Foto. Es zeigte Paula und eine Frau, die einmal sehr hübsch gewesen sein musste. Bevor Jahre voller Sorgen ihre Züge verhärteten und tiefe Falten in das schmale Gesicht gefurcht hatten. Das aschblonde Haar war straff zurückgekämmt und Eva Kottke vermutete, dass es mit einem Gummiband gebändigt wurde. Graublaue Augen und das verkniffene Lächeln, das man oft bei Menschen mit schlechten Zähnen fand. Keine Ohrringe und, soweit sie das auf dem Foto erkennen konnte, auch kein Make-up. Nicht einmal Lippenstift. Paulas Mama.
    Eva Kottke besaß eine gute Menschenkenntnis. Auch an ihr hatte das Leben seine Spuren hinterlassen. Tiefe Spuren. Tiefer als die harten Falten, die sich nun bildeten, als sie ein Schluchzen unterdrückte. Die Frau auf dem Foto war höchstens Mitte dreißig. Obwohl sie durchaus glücklich wirkte, wie sie da mit ihrer lachenden Tochter in die Kamera eines Fotoautomaten schaute, so bemerkte Eva doch den Abglanz von Kummer und Verzweiflung hinter der dünnen Maske. Die zwei hatten nur sich. Immerhin. Eva Kottke hatte niemanden. Bis heute.
    Sie schloss das Etui und kramte in ihrer Tasche nach der Geldbörse. Sie würde Paula das kleine Herz zurückbringen. Gleich morgen. Nachdem sie eine Nacht darüber geweint hatte.

    „Das bringt mein ganzes Weltbild durcheinander.“ Marliese

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