Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
Es war ein verzweifeltes Streben nach Unsterblichkeit. Ein Besitzanspruch, ein Widersprechen der Natur, die allen nur eine begrenzte Zeit auf der Welt zugesteht. Für sie sollte das nicht gelten. Sie wollte die Zeiten überdauern, sie wollte eine Saat aufgehen lassen, in der sie von Generation zu Generation wieder neu auferstand. Sie war zu wertvoll für nur eine einzige armselige Lebensspanne. Doch das Schicksal hatte ihr diese Möglichkeit genommen. Gründlich. Nach der Geburt ihrer Tochter hatte ihr die Ärztin mitgeteilt, dass sie keine weiteren Kinder mehr bekommen könnte. Etwas war schiefgegangen in ihr. Doch sie hatte ja, was sie wollte. Ihr Baby, ihr Fleisch und Blut, ihr Leben! Doch es wurde nur zwölf Jahre alt. Ein Jahr nach dieser Katastrophe machte sie sich dann auf die Suche. Eine Suche, die auf einem trostlosen Spielplatz zwischen Plattenbauten ihr Ende gefunden hatte. Paula.
Die Straßenbahn. Der Siebenundfünfziger Bus. Warum fuhren die heute bloß alle so langsam? Eva Kottke saß auf glühenden Kohlen. Längst fuhr sie nicht mehr mit dem Taxi. Jemand könnte Verdacht schöpfen. Taxen konnte man kontrollieren, ihre Fahrten wurden dokumentiert.
Paulas Mutter konnte nicht nein sagen. Sie würde es tun. Sie musste es tun. Eva kannte Menschen, die für einen Bruchteil dessen, was sie zu zahlen bereit war, jemanden umbringen würden.
Paula lebte mit ihrer Mutter in einem krankmachenden Wohnsilo. Die Frau musste jeden Cent dreimal umdrehen und ihr kleines Mädchen durch den Dschungel dieses sogenannten sozialen Brennpunktes lotsen.
Sie würde es tun. Sie musste es tun. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig. Petra Boskow war seit gestern arbeitslos. Zwei Telefonate und das war’s. Eva Kottke lächelte. Hallo Paula, hier bin ich … Deine neue Mutti.
Sie hatte mit dem Mädchen vereinbart, dass sie sich zunächst wie gewohnt auf dem Spielplatz treffen würden, um dann gemeinsam zu Paula nach Hause zu gehen.
Als Eva den tristen Spielplatz erreichte, war Paula nicht da. Verwirrt blickte sie sich um. Zwei Jugendliche schlenderten betont harmlos davon. Sie hatte wohl wichtige Geschäfte gestört. Weiter weg, neben dem Sandkasten, saß ein älteres Paar und wachte über ein etwa dreijähriges Mädchen, das auf der kleinen Rutschbahn rutschte.
Eva schaute auf ihre Uhr. Sie setzte sich auf eine Bank, zündete sich eine Zigarette an und legte den linken Arm auf die Lehne. Tief inhalierte sie den würzigen Rauch und schloss für einen Moment die Augen.
„Rauchen kann tödlich sein.“ Erschrocken riss sie die Augen auf, verschluckte sich prompt und bekam einen Hustenanfall. Hinter einem Schleier aus Tränen erkannte sie ein ovales Gesicht, umrahmt von einer blonden Pagenfrisur. Als sie wieder zu Atem gekommen war, trat sie die Zigarette aus und warf die Kippe in den Mülleimer.
„Sie sind …“
„Petra Boskow, Paulas Mutter.“ Die höfliche Vorstellung hatte einen drohenden Unterton.
„Ich bin Eva Kottke …“
Paulas Mutter übersah die ausgestreckte Hand und nahm neben Eva Platz. „Was wollen Sie von meiner Tochter?“ Ihre Stimme bebte. Eva wusste nicht, ob vor unterdrückter Wut oder vor Unsicherheit. Eva wandte den Kopf und sah Petra Boskow in die Augen. Im gleichen Moment erkannte sie, dass ihr Plan nichts wert war. Undurchführbar. Naiv. Närrisch. Die Frau wirkte auf den ersten Blick zerbrechlich. Sie war schlank, fast dürr. Ein zartes, fein geschnittenes Gesicht, in das die Jahre und die Sorgen merkwürdig unpassend wirkende Falten gezeichnet hatten. Eva schätzte die Frau auf Mitte dreißig. Bis auf die Augen. Die stahlblauen Augen wirkten viel älter. Härter. Augen, die direkt in ihr Innerstes zu blicken schienen. Eva wusste, wann sie verloren hatte. Diese Frau würde ihre Tochter niemals hergeben. Nicht für Hunderttausend. Nicht für eine Billion Dollar. Nicht für alles Geld der Welt.
Ein Jammer. Wenn sie lächelte, sah sie bestimmt noch immer gut aus. Lächle, Petra Boskow, dachte Eva. Lächle, so lange du es noch kannst.
Lieber Papa
Ich bin eine richtige Prinzessin! Tom hat es herausgefun
den! Gestern als die Mama ihren Frauenabend hatte. Das macht sie immer noch. Immer dienstags geht sie abends weg und kommt erst ganz spät wieder heim. Als du noch bei uns warst, haben wir dann immer Filme geschaut, die die Mama nicht mochte. Paulchen Panther und Schweinchen Dick und wir haben Tee gekocht und uns an der Tankstelle Süßigkeiten geholt. Tom mag kein Fernsehen, aber
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