Skulduggery Pleasant 6 - Passage der Totenbeschwörer
Spiegel. Wie zum Teufel kommt es, dass du nicht im Spiegel bist?«
»Du hast mich nicht hineingelassen.«
»Doch, das habe ich.«
»Nein, hast du nicht. Du hast gesagt, ich soll in den Spiegel gehen, aber du hast das Glas nicht berührt.« Walküre runzelte die Stirn. »Ich hab's berührt. Da bin ich mir ganz sicher.«
Das Spiegelbild schüttelte den Kopf. »Du musst es vergessen haben.«
»Meine Güte, ich habe es nicht vergessen! Ich habe dein Gedächtnis absorbiert. Ich erinnere mich an alles, was du heute getan hast.«
Jetzt runzelte das Spiegelbild die Stirn, die perfekte Simulation eines verständnislosen Gesichtsausdrucks. »Aber das ist ausgeschlossen. Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher! Du bist aufgestanden, hast gefrühstückt, Alison hat geweint und »Das war gestern.«
Walküre hielt inne. »Wie?«
»Du erinnerst dich an gestern. Heute Morgen hat Alison nicht geweint. Du bist aus dem Zimmer gegangen, ohne den Spiegel zu berühren, das ist alles. Du hast es einfach vergessen.«
»Aber ich erinnere mich, dass ich das Glas berührt...« »Wirklich? Erinnerst du dich wirklich daran? Oder gehst du einfach davon aus, dass du es getan hast, weil du es immer tust?«
Unten begann das Baby zu weinen.
»Wahrscheinlich braucht sie ihr Fläschchen«, vermutete das Spiegelbild und ging an Walküre vorbei aus dem Zimmer. Walküre schaute ihm stirnrunzelnd nach. Sie betrachtete den Spiegel und versuchte, die Ereignisse der letzten beiden Stunden zu rekonstruieren. Sie war durchs Fenster eingestiegen, als das Spiegelbild gerade ihre Hausaufgaben für den nächsten Tag gemacht hatte. Walküre hatte es aufgefordert, in den Spiegel zu treten, dann hatte sie sich umgezogen, ihre Frisur in Ordnung gebracht und dann ... und dann ...
Sie war sich ganz sicher, dass sie den Spiegel berührt hatte. Sie war sich ganz sicher, dass die Erinnerungen des Spiegelbilds in ihr Gedächtnis eingeflossen waren. Dessen war sie sich ziemlich sicher. Es war allerdings möglich, natürlich war es möglich, dass sie sich täuschte. Das passierte leicht. Es war wie die Sache mit der Haustür, die man zusperrt, bevor man ins Bett geht. Ein paar Minuten später liegt man dann im Bett und fragte sich, ob man die Tür tatsächlich abgesperrt hat oder es nur tun wollte.
Walküre ging nach unten. Anfangs hatte sie es kompliziert gefunden, mit zwei Erinnerungssträngen zu leben, doch inzwischen war sie Expertin im Umgang mit zwei parallelen Erfahrungen, die gleichzeitig abliefen, manchmal sogar am selben Ort. Woran sie sich nur schwer hatte gewöhnen können, war das Aufnehmen von Unterhaltungen, die sie mit sich selbst geführt hatte. Eine Unterhaltung nachzuvollziehen, bei der man beide Seiten selbst war, konnte einen um den Verstand bringen. Und auch wenn der Prozess nicht immer fehlerfrei ablief, wenn die Erinnerungen des Spiegelbilds Lücken aufwiesen, zu denen sie keinen Zugang hatte, war sie immer der Meinung gewesen, dass sie die Sache im Griff hatte. Bis gerade eben.
Walküre betrat das Wohnzimmer. Das Spiegelbild hielt Alison auf dem Arm. Es lächelte, während Alison an ihrem Fläschchen nuckelte. Fletcher stand dabei.
»Sorry«, entschuldigte er sich. »Sie hat ständig die Flasche weggeschlagen und dann angefangen zu schreien.« »Mach dir nichts draus«, beruhigte Walküre ihn. Das Spiegelbild ließ sie dabei nicht aus den Augen. »Du warst während der letzten Stunden also im Spiegel?«
»Ja.«
»Und dann? Ist es dir langweilig geworden? Hast du beschlossen, einen Spaziergang zu machen?«
»Mir wird nicht langweilig. Es mussten noch Hausaufgaben gemacht werden.«
»Gut. Aber trotzdem, ich bin sicher, ich habe den Spiegel berührt.«
»Hast du nicht. Tut mir leid, wenn ich euch erschreckt habe. Fletcher, könntest du mir mal ein Papiertaschentuch geben?«
Fletcher zog ein Taschentuch aus der Schachtel auf dem Kaminsims und gab es dem Spiegelbild. Es wischte damit Milch vom Kinn des Babys und fütterte es dann weiter. »Ihr könnt eure Unterhaltung fortführen, wenn ihr wollt. Vergesst einfach, dass ich da bin.«
Fletcher grinste und Walküres Stirnrunzeln galt jetzt ihm. »Was amüsiert dich so?«
»Nichts«, antwortete er. »Gar nichts. Nur ... na ja, ich musste nur gerade daran denken ... Werde jetzt bitte nicht sauer. Es ist nur so ein Gedanke, der mir in den Kopf kam. Ich bin also nicht schuld, der Gedanke ist schuld, aber ... Wenn du mich eines Tages mit deinem Spiegelbild erwischen würdest, wäre das
Weitere Kostenlose Bücher