SLAM (German Edition)
gewesen war, einen Ersatz für sich selbst und Rasul auszuwählen. Die Teepause verlief in der Regel schweigend, hin und wieder konnte man ein paar gemurmelte Wortfetzen hören, wenn sich zwei Ko llegen miteinander unterhielten. D iese Gespräche waren aber nie laut genug, um irgendetwas zu verstehen. Oftmals saß Karim in den Pausen mit geschlossenen Au gen da, um sich ein wenig Erholung von den ständig wechselnden, flimmernden Bildern zu gönnen, die er stundenlang bearbeiten musste. Manchmal fragte er sich, warum üb erhaupt jemand hier arbeitete. L etztlich waren die Dienste, die sie alle verrichteten , allenfalls eine magere Hilfestellung für BEY, der das alles vermutlich alleine schneller, effizienter und fehlerfr eier durchführen konnte. Nichtsdestot rotz mochte Karim seinen Job, er gab seinen Tagen Struktur , und die Tatsache, eine Aufgabe zu haben, erfüllte ihn mit Zufriedenheit. Und dann war da natürlich die einmalige Gelegenheit, Antworten auf seine Fragen zu suchen. Wo, wenn nicht hier hätte er Zugriff auf die Archive nehmen, seine Suche nach etwas fortsetzen können, von dem er selber nicht genau wusste, was es war?
Er hatte Stunden damit zugebracht , die Kommunikationslinie Zakat 5 zu überpr üfen . Aber wieder hatte er das Gefühl, dass BEY eigentlich genau wusste, was zu tun war. Der weise alte Mann in seinem Büro wartete höflich auf seine Antworten, um dann entweder zu nicken oder leicht den Kop f zu schütteln und einen besseren Vorschlag zu unterbreiten, den Karim sofort als besser erkannte. Als der Nachmittag bereits deutlich fortgeschri tten war, reckte BEY sich .
» Karim, es wird langsam spät. Ich denke, du solltest dich auf den Heimweg machen. Du hast für heute genug getan. Sicher wartet Soli bereits auf dich. Welchen Weg wirst du heute nehmen? Gehst du durch den Park? «
BEY schien sich häufig für solche Details zu in teressieren. Karim verstand sein Interesse, war er doch – was immer er auch war – hier in diesen Mauern eingesperrt , und konnte wohl nur durch die Unterhaltungen, die er mit den Mitarbeitern des Archivs führte, etwas über die Welt da draußen erfahren. BEY war der einzige » Kollege « , zu dem Karim so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung entwickelt hatte . D as lag einerseit s daran, dass er ständig mit ihm kommunizierte, a ndererseits hatte ihn der alte Mann immer wieder ermutigt, Dinge von sich preiszugeben. So wusste BEY nicht nur von Karims Beziehung zu Soli, sondern war auch über ihr en Kinderwunsch, die Lage und Ausstat tung der gemeinsamen Wohnung sowie Karims Vorliebe für Spaziergänge im Park bestens informiert .
Karim streckte sich und nickte bestätigen d in Richtung des alten Mannes.
» Ich wünsche d ir einen angenehmen Abe nd, mein Freund«, sagte BEY und verblasste.
Die Herbstsonne stand schräg , und die hohen Gebäude warfen lange Schatten auf Straßen und Gehwege, die aussahen wie die Silhouette eines dichten Waldes. Die Luft hatte sich spürbar abgekühlt, Feuchtigkeit sammelte sich bereits auf den glatten Glasfronten der Hä user und reflektierte in Myriaden von kleinen Lichtpunkten die untergehend e Sonne. Die Stadt war in kupfer farbenes Licht getaucht, so dicht, dass Karim glaubte, es berühren zu können. Langsam ging er in Richtung der nächsten Unterführung, die ihn aus dem Hochhauswald zurück in sein Wohnviertel fü hren würde . Er ließ sich Zeit und beobachtete kurz interessiert einen Fensterputzer, der sich die kondensierende Feuchtig keit zun utze machte, um den Eingangsbereich des Ministeriums für Transport zu reinigen . Er fragte sich, warum es in einer Gesellschaft, die so fortschrittlich und modern war, noch so archaische Tätigkeiten gab. Wieder überkam ihn das Gefühl, dass das System, das sie al le versorgte, diese Aufgabe selbst hätte übernehmen können , und das s der Mann, der sich auf einer kleinen Leiter nach oben streckte , seine Aufgabe nur erfüllte, damit er überhaupt etwas zu tun hatte. Damit er sich nicht überflüssig vorkommt, genau wie wir alle, dachte Karim.
Auf seinem Weg die Straße entlang streifte er kurz den Ärmel eines Mannes, der ihm entgegenkam, ein Umstand, der selten genug vorkam und ihm deshalb aufstieß , weil es als unschicklich galt, Fremde zu berühren. Man wählte seinen Weg stets vorsichtig und mit Bedacht, die Privatsphäre eines jeden war unantastbar. N iemals drängelte man oder schob sich beim Warten auf ein Transportmittel nahe an einen andere n
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