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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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treten. Das Haus ist riesig, viel größer, als Jonathan erwartet hat, und es steht auf einem zwei Hektar großen Grundstück in bester Lage in Medina, mit Blick auf den Lake Washington.
    »Chloe ist in der Klinik«, sagt Jonathan, kein Wort mehr. Marcus weiß vermutlich längst alles darüber, er weiß alles über alles. Jonathan will nicht über Chloe oder seine Familie oder irgendeinen Aspekt seines verpfuschten Lebens sprechen.
    »Wir sind im hinteren Arbeitszimmer«, sagt Marcus. »Der Kern unserer kleinen Rekrutierungsgruppe. Wir haben einiges zu erledigen, unabhängig von deinem Erscheinen, aber ich bin froh, dass du hier bist.«
    »Wollte es auf keinen Fall verpassen«, sagt Jonathan.
    Marcus führt ihn durch das Foyer ins riesige Wohnzimmer, wo Jonathan in einer Mischung aus Schrecken und Bewunderung auf ein Wandfries über der langen weißen Couch starrt: eine Herde menschengroßer prähistorischer Monster, Dinosaurier. Ihre schwarzen fossilen Knochen ragen aus der Wand, als wäre sie nur ein Nebelschleier, und die Tiere scheinen bereit, jeden anzuspringen, der sich in diesen Raum wagt. Für einen Moment wäre ihm fast entgangen, was Marcus sagt.
    »Deine Stimme klingt etwas merkwürdig, Jonathan.«
    »Oh – ich habe eine schwere Nacht hinter mir, Marcus.«
    Marcus zeigt in den hinteren Bereich des Hauses. »Wir sind im Arbeitszimmer«, wiederholt er. »Sie sind sehr reizbar, wie ein Rudel Wölfe. Sie wittern jede Art von Unsicherheit und werden sich sofort darauf stürzen, glaub mir.«
    Jonathan nickt ernst und stellt sich eine Herde lebendiger Dinosaurier vor, die in Longsuits gekleidet und Pfeife rauchend im hinteren Arbeitszimmer auf ihn warten. Doch es stört ihn nicht. Alles wäre besser als das, was ihn zur Zeit besorgt.
    »Für uns steht sehr viel auf dem Spiel. Obwohl ich für dich gebürgt habe, besitzen diese Männer durchaus ein eigenes Urteilsvermögen.«
    »Nur Männer?«, fragt Jonathan.
    »Nur Männer in dieser Gruppe«, sagt Marcus.
    »Gut«, bemerkt Jonathan. Als Marcus weitergehen will, berührt Jonathan seinen Arm. »Es tut mir Leid, Marcus. Was diese Sache betrifft, bin ich voll dabei. Es ist nur mein übriges Leben, das in Scherben gegangen ist.«
    »Nun, vielleicht können wir dir in dieser Hinsicht behilflich sein. Jeder Mann braucht eine Aufgabe.«
    Jonathan lächelt und beugt seine Schultern vor, als wollte er sich die Ärmel hochkrempeln. »Ich bin bereit«, sagt er.
    Sie scheinen ewig unterwegs zu sein, gehen an zahllosen Zimmern vorbei, die mit aufwendig eingebundenen Kunstbüchern und seltener Literatur vollgepackt sind, an Glasvitrinen mit Keramikfiguren und Ledersesseln mit hoher Rückenlehne. Der Teppich besteht aus weißer Wolle, kein metabolisches Gewebe, aber dennoch tadellos sauber und verdammt teuer. Die Wände sind mit bleichem Holz vertäfelt, Esche oder Birke aus dem zwanzigsten Jahrhundert, in dem das Haus errichtet wurde. Nirgendwo ein Anzeichen auf Vid oder Yox – selbst Jonathan war einverstanden, dass es in ihrem Haus ein Vid-Zimmer gibt.
    »Es ist groß«, sagt Jonathan, als sie sich einer schweren Eichentür nähern. Draußen ist die Sonne wieder zum Vorschein gekommen und strahlt ihre gelbe Wärme durch Verandatüren in einen Trainingsraum zu ihrer Rechten.
    »Eintausendeinhundert Quadratmeter. In den späten Neunzigern von einem Software-Mogul in Medina erbaut. Ein Flusstech-Klassiker. Er hat sich die Dinosaurier installieren lassen. Es sind echte Fossilien, keine Abgüsse. Ein ungewöhnlicher Geschmack, aber ich mag sie.«
    »Sie sind charmant«, sagt Jonathan.
    Marcus öffnet die Tür. Die Luft des Raums ist blau vor Zigaretten- und Pfeifenrauch. Es riecht nach Kräutern, wie ein Feuer in einem exotischen Dschungel. Tabak von solch hoher Qualität ist sehr teuer, und Jonathan schätzt, dass der Rauch in diesem Arbeitszimmer um die tausend Dollar wert sein dürfte. Jonathan raucht nicht, obwohl er keine Einwände gegen Raucher hat. Seit Krebs eine Geißel der Vergangenheit ist, sind eine Reihe von ehemaligen Untugenden in das Leben der amerikanischen Oberschicht zurückgekehrt.
    Fünf Männer sitzen oder stehen im Dunst. Sie unterbrechen ihre Gespräche und starren Jonathan erwartungsvoll an. Das Zimmer ist eher klein – jede Wand misst höchstens sieben Meter – und ist mit ansehnlichen alten Sesseln und Sofas ausgestattet. Hier ist auf den eingebauten Bücherregalen eine nicht so ausgefallene Auswahl realer Bücher versammelt: zerlesene

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