Slant
werden. Bakterien funktionieren als gewaltige Gemeinschaft, weniger im evolutionären Prozess als durch den Austausch von Rezepten, indem sie gleichzeitig rivalisieren und kooperieren. Wir Menschen bestehen aus Allianzen von Zellen, die aus noch älteren Allianzen zwischen unterschiedlichen Bakterienformen bestehen. Wir sind letztlich Kolonien aus Kolonien von Bakterien, die viele neue Tricks gelernt haben, auch den der sklavischen Kooperation. Fühlt sich das Ziegelsteinhaus dem einfachen Sandkorn überlegen? Oder der Berg dem Kieselstein?«
Diesmal füllt sich das Mittelschiff mit tanzenden Diagrammen und Dramen der zellulären Evolution, der Differenzierung der Reiche, Stämme und Ordnungen in rasendem Tempo. Jonathan starrt fasziniert auf die Entstehung der ersten komplexen Zelle mit Zellkern – einer gigantischen Fabrik im Vergleich zu einem Bakterium. Bakterielle Maschinen, Fragmente und selbst komplette Bakterien werden sublimiert und hierarchisiert, in Milliarden Jahren der Evolution, bis sie eine neue Stufe erschaffen haben.
»Heute bringen wir all diese Prozesse, die einst die Domäne der Bakterien waren, auf dem technischen Niveau unter unseren Einfluss. In gewisser Weise ist die Nanotechnik der Diebstahl von Ideen aus dem molekularen Bereich, der zellulären und bakteriellen Domäne, und mit diesen Techniken treiben wir unsere neuen kulturellen Imperative an. Die Erde ist zu einer gigantischen, komplexen, noch nicht vereinten, aber äußerst fruchtbaren Einzelzelle geworden.
Und jetzt – damit kommen wir wieder auf den Sex zurück – ist die Zeit reif für den Blick nach außen und die Reproduktion.
Leider haben wir aus dem Ozean des leeren Weltraums noch keine Datenpakete von anderen planetaren Zellen empfangen. Wir sind wie ein einzelnes Bakterium, das sich durch das Urmeer windet und hofft, irgendwo auf seinesgleichen zu stoßen oder zumindest Rezepte und Hinweise zu finden, die ihm sagen, was es als Nächstes tun soll.«
Quer- und Mittelschiff füllen sich mit nächtlicher Einsamkeit, mit Wolken aus Sternen, die hell, aber stumm strahlen. Jonathan verliert sich für einen Moment in den überwältigenden Bildern.
»Wir schicken Raumschiffe aus, zu den Planeten, zu den Sternen. Darin stecken unsere eigenen kleinen Rezepte und Hinweise, wie hoffnungsvolle Plasmide. Wir haben andere belebte Welten gefunden, aber noch keine, die so komplex wie die Erde ist, die sich über das Niveau der molekularen Sprache hinaus entwickelt hätte. Wir wissen, dass dort draußen Milliarden von Welten sind, allein in unserer Galaxis mehrere Hundert Millionen, die der Erde ähnlich sind.
Wir haben Geduld.
In der Zwischenzeit, solange wir noch keine andere Gemeinschaft gefunden haben, der wir uns irgendwann anpassen müssen, um zu ihr zu gehören, dem größeren Netzwerk der Autopoiesis, in dem wir zu einem Knoten werden, in der Zwischenzeit arbeiten wir daran, uns zu verbessern. Wir versuchen gewissermaßen, uns an den eigenen Hosenträgern emporzuziehen, auf höhere Stufen der Effizienz und des Verstehens.
Der Imperativ der Datenfluss-Kultur lautet, alte Irrtümer und Ineffizienzen auszuräumen – um durch ständige Forschung unser Wissen zu verbessern, durch gründlichere Bildung und Therapie unseren Geist zu perfektionieren und unsere körperliche Gesundheit zu steigern, indem wir uns aus den uralten Zyklen der Nahrungsketten und Krankheiten lösen, bis diese nicht mehr in der Lage sind, den Baum der Menschheit zu beeinträchtigen. Wir hoffen darauf, die menschlichen Kulturen zu vereinigen, damit wir unsere internen Konflikte überwinden und gemeinsam an größeren Zielen arbeiten. Wir arbeiten an unserer historischen und politischen Selbsttherapie.
Jede Trennung ist eine bequeme Illusion, jede Rivalität ist das Stampfen der sexuellen Maschinen. Unsere sozialen Konventionen verleihen unserer Kultur Gestalt, so wie Zellwände das Protoplasma zusammenhalten. Aber wir werden schon bald in eine Zeit eintreten, wenn die Bildung jede Konvention überwindet, wenn Logik und Wissen jeden Automatismus ersetzen. Unser Jahrhundert lässt sich als eine Zeit der Konflikte zwischen alten Irrtümern, alten Denkmustern und neuen Entdeckungen über unsere eigene Natur charakterisieren. Wir haben keinen gütigen Vater im Himmel, zumindest keinen, der bereit ist, mit uns auf verständlicher Basis zu kommunizieren.«
Die Frau zu Jonathans Linken runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf. Die Stoiker neigen dazu, vor jedem
Weitere Kostenlose Bücher