Slant
Kinder?
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, murmelt sie. Was sie mit achtzehn Jahren getan hat, ist von phantomhafter Irrelevanz, Zahlen und verblasste Erinnerungen und sogar einige vergessene Namen. Was sie ihrem Ehemann gibt oder nicht gibt, ist allein ihre Angelegenheit. Sie haben ihre Kinder und jeder ein eigenes Leben, gesellschaftliche Beziehungen und viele Freunde… Das ist mehr als genug.
Sie öffnet die hintere Glastür und tritt auf die Veranda. Ein paar Regentropfen treffen ihr Gesicht. Sie wischt sie mit perfekt manikürten Fingern fort. Jonathan leistet seinen Anteil. Aber es macht sie wütend, irgendeine Art von Schuldgefühl zu empfinden. Sie gibt den Kindern von ihrer Freizeit, ihren Gedanken und ihrer Leidenschaft ab. Es sind gute und starke Kinder. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie erwachsen sind. Penolope geht bereits zu ersten Verabredungen und Hiram gibt sich große Mühe, seine neuen Interessen zu verbergen.
Chloe hasst die Vorstellung, dass das Leben mehr von ihr verlangt, als sie bereits gegeben hat. Sie hat mit der Tradition ihrer Familie gebrochen, ihren Vater enttäuscht; und sie hat ihre Ausbildung nicht genutzt.
In der kühlen Brise richtet sie sich plötzlich kerzengerade auf und hält sich am Geländer fest. Ihre Tränen strömen ungehindert, und sie hasst sich selbst, ihn, all die Anforderungen des Lebens. Sie befürchtet, dass sie allmählich glaubt, jeglicher Sex könnte sie herabsetzen. Sie tut es für Jonathan, nicht für sich selbst. Sie hat keine starken Bedürfnisse, überhaupt keine.
Jonathan könnte jeden Augenblick nach Hause kommen und sie will ihm diese Seite nicht zeigen. Er ist zu einem Gegner geworden; sie liebt ihn, aber sie hat ihm so viel von sich selbst und ihrem Leben gegeben, dass sie glaubt, sie hätte damit andere und bessere Dinge tun können. Dann denkt sie an die Kinder und all die Verpflichtungen, all der Verzicht macht sie krank. Was hätte aus ihr werden können, wenn sie völlig frei von all den Sandpapier-Anforderungen des Sex – einschließlich der Kinder – gewesen wäre?
Sie kehrt ins Haus zurück und wirft die Tür heftig zu, die sich jedoch nur mit einem leisen Klicken schließt. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn der laute Knall nicht automatisch gedämpft worden wäre. Im Wohnzimmer schaltet sich die Beleuchtung ein. »Licht aus!«, ruft sie.
Das Haus herrscht über sie; nicht einmal in ihren eigenen vier Wänden kann sie frei sein.
Die Beleuchtung erlischt gehorsam.
In der Dunkelheit ist sie von allen Seiten gefesselt.
Die Vordertür öffnet sich. Jonathan kommt zurück. Ihre Muskeln spannen sich an, und sie reißt sich zusammen. Er darf sie nicht so sehen; diese Genugtuung hat er nicht verdient. Sie hört ihn in der Diele, dann hält er inne, und sie stellt sich vor, wie er auf das Haus lauscht, wie eine Katze, die eine Maus zu orten versucht. Er will wissen, wo sie ist. Er will wissen, ob sie schläft oder noch wach ist, und wenn sie wach ist, wird er vielleicht versuchen, sie zu umarmen und zu berühren, sie zu erregen. Er scheint zu glauben, dass ihr Verlangen nach ihm gestärkt wird, sobald er einige Tage oder auch nur ein paar Stunden fort ist. Doch so ist es nicht. Sie könnte monatelang, jahrelang darauf verzichten, ja für immer.
»Hallo?«, ruft er leise.
»Ich bin hier«, sagt sie. »Wie war das Treffen?«
Jonathan kommt ins Wohnzimmer. Er wirkt erschöpft. »Unheimlich«, sagt er. »Warum ist es dunkel?«
Er steht nicht weit entfernt mit verschränkten Armen da. Für einen Moment ist sie erleichtert, weil er nicht versucht, sie zu umarmen. Das gibt ihr etwas mehr Zeit, sich wieder zu fassen.
»Ich habe das Gewitter beobachtet«, sagt sie.
»Die Kinder schlafen?«
»Ja. Die Toilette behauptet, wir seien krank.«
Er lacht. Er klingt nervös.
»War der Vortrag interessant?«
»Scheint so. Aber Marcus war heute Abend der interessantere Sprecher.« Dann erinnert er sich, dass er Chloe nichts davon sagen soll. »Mann, ich bin vielleicht müde! Kommst du mit ins Bett?«
»Marcus, der Königsmacher?«
»Genau der«, sagt er.
»Was hat er dir jetzt wieder angeboten?«
»Nichts, was der Erwähnung wert wäre«, erwidert Jonathan, aber seine Worte klingen falsch oder zumindest unsicher.
Er verschweigt ihr etwas. Alles, was sie an diesem Abend gedacht und gefühlt hat, scheint plötzlich zu ihr zurückzukehren und sie wie eine Kobra anzufallen. Sie hat Angst. Was ist, wenn sie zu viel abgelehnt hat, wenn sie nicht
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