SLEEP - Ich weiss, was du letzte Nacht getraeumt hast
will.«
Carl nickt. Er geht einen Schritt auf den Mann zu. Nimmt das Klemmbrett, das am Fußende des Bettes hängt, sieht es einen Augenblick lang aufmerksam an und blättert auf die nächste Seite. Dann reicht er es Janie.
»Ich verstehe das hier nicht. Weißt du, was das heißen soll?«
Janie nimmt das Klemmbrett. Sie ist unsicher, weil sie das Gefühl hat, sich in die Angelegenheiten eines Fremden einzumischen. Dennoch fängt sie an zu lesen und versucht, die vielen Fachausdrücke zu entschlüsseln. Doch selbst mit ihren Erfahrungen aus dem Heather-Pflegeheim kann Janie nicht viel davon verstehen.
»Hm. Sieht aus, als hätten sie leichte Unregelmäßigkeiten der Gehirnaktivitäten entdeckt.«
»Leicht? Ist das gut?«, erkundigt sich Carl besorgt.
»Ich glaube eher nicht«, antwortet Janie. Sie legt das Klemmbrett zurück.
»Meinst du, er kann uns hören?«, flüstert Carl.
Janie ist einen Moment still. Dann flüstert auch sie. »Schon möglich. Im Heather-Pfelgeheim haben wir mit Komapatienten immer so gesprochen, als könnten sie uns hören, und es den Familienangehörigen auch geraten. Vorsichtshalber.«
Carl schluckt heftig und sieht Janie an. Plötzlich fehlen ihm die Worte. Er stößt sie an und nickt zum Bett hin.
»Dränge mich nicht«, verlangt Janie flüsternd.
Sie sieht den Mann an. Tritt näher. Sie schaudert und bleibt einen Schritt von ihrem bärtigen Vater entfernt stehen. Was, wenn er nur so tut und mich auf einmal anspringt? Wieder schaudert sie.
Sie holt tief Luft und für einen Augenblick ist sie Janie Hannagan, undercover. Sie betrachtet sein gequältes Gesicht näher. Unter den langen schwarzen Barthaaren sieht sie rissige Haut. Vernarbt. Janie fragt sich, ob sie sich bei ihm für ihre gelegentlichen Mitesser bedanken kann. Sein Haar ist dünn und teilweise ausgefallen – als ob es in großen Büscheln ausgerissen worden wäre. An einigen Stellen kann sie Henrys Kopfhaut sehen. Sie ist voller roter Kratzer. Janie wirft einen Blick auf seine Hände. Die Fingernägel sind sauber, aber bis auf das Fleisch abgenagt. An der Nagelhaut sind kleine Krusten. Die Brusthaare, die hinter dem Kragen seines Krankenhaushemdes hervorragen, wachsen in Flecken und sind entschieden grauer als die Haare auf seinem Kopf. Seine Hautfarbe ist gräulich-weiß, als hätte er den ganzen Sommer über nicht viel Sonne gesehen, aber an seinen Armen zeigt sich eine leichte Bauarbeiterbräune.
»Was ist mit dir passiert?«, flüstert sie, mehr zu sich selbst als zu ihm.
Er rührt sich nicht. Doch der gequälte Ausdruck in seinem Gesicht ist mehr als beunruhigend. Sie fragt sich, ob sein Kopf immer noch von dem statischen Rauschen erfüllt ist.
»Das muss verdammt schmerzhaft sein«, murmelt sie.
Abrupt sieht sie Carl an.
»Das ist zu verrückt«, haucht sie und zeigt zur Tür. Carl nickt und sie gehen hinaus, schließen die Tür hinter sich.
»Viel zu verrückt«, wiederholt sie laut. Es ist mehr, als sie verkraften kann. »Lass uns gehen. Lass uns einfach … trainieren oder etwas unternehmen oder essen gehen oder irgendetwas. Ich muss diesen Kerl aus dem Kopf bekommen.«
12:30 Uhr
Sie halten bei einem Schnellrestaurant und laufen einem halben Dutzend Cops in die Arme, die gerade zur Tür herauskommen.
»Habt ihr euren Urlaub extra früher beendet, weil ihr uns vermisst?«, neckt sie Jason Baker.
Janie mag ihn.
»Wunschdenken. Ein kleiner familiärer Notfall hat uns früher nach Hause geführt. Aber jetzt ist alles in Ordnung«, sagt sie leichthin.
Carl und Janie setzen sich an die Bar, um schnell etwas zu essen. Janie bekommt ihren Milchshake umsonst, weil sie die bekannte Drogenfahnderin ist.
Nicht alles ist schlecht.
13:41 Uhr
Janie legt ihr glattes Bein über Carls haariges.
Sanft spielen ihre Zehen miteinander, während sie in Carls Keller arbeiten.
Janie durchforstet das Internet nach Erkrankungen und Verletzungen des Gehirns, erfolglos. Es gibt einfach viel zu viele davon, um die Suche einschränken zu können.
Carl googelt Henry Feingold .
»Nun«, meint er, »über einen Henry Feingold in Fieldridge, Michigan, gibt es keine Informationen. Es gibt einen ziemlich schreibwütigen Autor mit diesem Namen, aber das scheint nicht derselbe Mann zu sein. Was auch immer dein Dad tut – oder getan hat –, ist jedenfalls nicht im Internet zu finden. Zumindest nicht unter seinem richtigen Namen.«
Janie klappt den Laptop zu und seufzt. »Es ist unmöglich, etwas über ihn herauszufinden. Ich
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