SLEEP - Ich weiss, was du letzte Nacht getraeumt hast
frage mich, warum sie nichts für ihn tun.«
»Vielleicht hat er keine Versicherung«, bemerkt Carl leise. »Ich will ihn ja nicht nach seinem Aussehen beurteilen, aber er ist offensichtlich kein leitender Geschäftsmann.«
»Das ist es wahrscheinlich.« Janie schließt die Augen und legt den Kopf an Carls Schulter. Sie denkt an die beiden Menschen, mit denen sie verwandt ist. Ihre Mutter – alkoholiker-dürr, schmierig, fettige Haare, alt und zerbrechlich mit Mitte dreißig, und ihr Vater, eine seltsame Mischung aus Bud Spencer und Hagrid. »Wie kannst du überhaupt den Gedanken daran ertragen, wie ich in fünfzehn Jahren wohl aussehe, wenn ich blind und verkrüppelt bin, Carl? Was für ein verdammtes Trauerspiel, ein Familienzirkus aus Missgestalten.«
»Warum machst du dir solche Gedanken darum, wie du aussehen wirst?« Er streichelt ihren Oberschenkel. »Für mich wirst du immer schön sein.« Er versucht, lässig zu klingen, aber sie hört die Anspannung in seiner Stimme.
»Trotzdem. Sie sind beide solche Freaks.«
Carl lächelt. Er stellt seinen Laptop ab, nimmt Janie ihren weg und stellt ihn ebenfalls auf den Boden, dann drängt er sich langsam an sie, bis sie auf dem Rücken liegt. Sie kichert. Er liegt über ihr, drückt sich an sie, genau so, wie sie es mag. Sie schlingt die Arme um seinen Hals und zieht seine Nase an ihre.
»Ich liebe dich, du Zirkusfreak«, haucht er.
Es tut fast weh, das zu hören.
»Ich liebe dich auch, du großer dicker Monstermann«, erwidert Janie.
Das zu sagen tut nur noch mehr weh.
Dann küssen sie sich.
Langsam, vorsichtig.
Denn mit dem richtigen Menschen kann Küssen manchmal wie eine Heilung sein.
Dennoch … irgendetwas drängt sich in Janies Gedanken nach vorne. Sie überlegt, ob es das wert ist … blind zu werden, wenn es doch eine andere Möglichkeit gibt.
Außerdem, was ist, wenn Carl sich seine eigenen Befürchtungen über ihr gemeinsames Leben nicht eingesteht?
Es ist verdammt beängstigend, das ist es.
Es ist, als sei Carl derjenige, der blind ist.
Das Küssen wird langsamer. Carl schmiegt sein Gesicht in Janies Halsgrube und knabbert an ihrer erhitzten Haut. »Woran denkst du?«
»Hm … außer an dich?«
»Clever«, sagt Carl lächelnd und kitzelt sie mit seinen Lippen am Hals, zwickt sie damit. »Ja, außer an mich. Falls es für dich überhaupt möglich ist, an etwas anderes zu denken als an mich.«
»Oh«, erwidert sie. »Wenn es etwas anderes gäbe, würde ich wahrscheinlich darüber nachdenken, wie ich an etwas Mut kommen könnte, um meine Mutter zur Rede zu stellen.« Abwesend streicht sie ihm das Haar aus den Augen. »Ich würde versuchen herauszufinden, was mit ihnen geschehen ist, und mit mir, und was wir jetzt mit diesem Einsiedler-Typen machen sollen.«
Carl setzt sich auf und nickt. Dann steht er ächzend auf und zieht Janie mit sich hoch. »Soll ich dich begleiten?«
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich das allein mache. Aber danke.«
»Habe ich mir schon gedacht. Aber ruf mich an, ja?«
Ausgerechnet in dem Moment klingelt Janies Telefon.
»Das ist Carrie, ich muss rangehen.«
Janie wirft Carl eine Kusshand zu, als sie die Treppe hinaufläuft und ans Telefon geht. »Hi, Carrie!«
»He, Süße, mein Telefon geht wieder. Wie läuft es mit dem Familiendrama heute? Alles klar?«
»Es ist verrückt, und es ist ein riesiges Chaos, aber es ist okay. Vielen Dank noch mal, dass du dich um meine Mutter gekümmert hast. Du bist die Beste!«
»Kein Problem. Irgendjemand muss ja in der Nachbarschaft aufräumen, oder?«
»Autsch! Mann, Carrie!« Doch Janie muss unwillkürlich lachen.
»Na, du weißt ja, wo du mich findest, wenn du mich brauchst«, sagt Carrie. »Ähm … Da gibt es noch eine andere Sache.«
»Was denn?«
»Ich bin verlobt.«
»Was?«
»Stu hat mich gestern Abend gefragt.«
»Oh mein Gott! Ist ja irre!«, ruft Janie. »Und du hast Ja gesagt?«
»Offensichtlich, da ich eben behauptet habe, ich sei verlobt.«
»Wow, Carrie! Bist du … bist du dir sicher? Bist du glücklich?«
»Ja. Ich meine, ja, total! Ich weiß genau, dass Stu der Kerl ist, mit dem ich zusammen leben will.«
»Aber?«
»Aber ich habe es jetzt gerade nicht erwartet.«
Janie, die von Carl nach Hause gelaufen ist, geht weiter zu Carrie.
»Bist du zu Hause?«
»Ja.«
»Kann ich reinkommen?«
»Super«, antwortet Carrie erleichtert. »Ja, komm einfach rein. In mein Zimmer, natürlich.«
»Okay, bis gleich.«
Janie legt auf und geht ins Haus,
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