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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jill Hathaway
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alles kaputtgemacht. Ich meine, ich finde dich wirklich interessant. Ich möchte dich gerne besser kennenlernen.«
    Etwas wie Glück kribbelt unter meiner Haut. Er möchte mich besser kennenlernen. Also hält er mich doch nicht für eine verrückte Kuh, weil ich diese Mordtheorien geäußert habe. Das heißt doch, dass auch er die Verbindung zwischen uns spürt.
    »Es ist einfach nur eine komische Zeit für mich«, sage ich schließlich. »Die ganze Geschichte mit Sophie und wie meine Schwester ausflippt. Es ist, als wäre ich in einem Albtraum gefangen, und alle außer mir sind verrückt. Oder ich bin die Verrückte. Ich weiß es nicht.«
    Halt die Klappe, Vee. Halt einfach die Klappe. Du redest Unsinn.
    Nach einer Weile sagt er leise: »Ich hatte eine kleine Schwester.«
    Wir schweigen beide. Obwohl mir die Heizung genau ins Gesicht bläst, wird mir von den Zehenspitzen bis zur Kopfhaut kalt. Er hat in der Vergangenheit gesprochen, ich bin den Tränen nah.
    »Es tut mir leid«, sage ich und wünsche mir, ich hätte etwas anderes gesagt. »Möchtest du darüber reden?«
    Er kneift die Augen zu und schüttelt den Kopf.
    Die weiße Tüte zwischen meinen Beinen knistert, als ich einen Donut heraushole. »Möchtest du noch einen?«
    Unsere Blicke begegnen sich, und er lächelt wieder. Mir wird wieder warm. Seine Finger streichen über meine, als er nach dem Donut greift. Er nimmt einen großen Bissen, kaut und schluckt.
    »Mein Gott«, sagt er, »du bist so hübsch, dass mich jedes Mal ein kleiner Stromschlag durchfährt, wenn ich dich sehe.«
    »Du warst das«, flüstere ich. »Im Unterricht, meine ich. Das war
dein
Zettel.«
    Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln.
    Der Augenblick gefriert. Plötzlich ist es mir egal, ob er irgendwann vorbei ist. Die Angst, mich zu binden, wird von dem überwältigenden Verlangen hinweggefegt, diesen Moment einzigartig zu machen, so vollkommen wie möglich.
    Ich berühre seine Wange. Wir beugen uns zueinander, küssen uns, ganz sanft. Seine Lippen schmecken nach Kirschen. Ich wusste nicht, dass es so schön sein kann.
     
    Als ich endlich aus Zanes Auto steige, bemerke ich den Wagen meines Vaters in der Einfahrt – ein seltsamer Anblick um diese Tageszeit. Ich hatte damit gerechnet, dass er im Krankenhaus Büroarbeit erledigt.
    Drinnen stelle ich meinen Rucksack ab und gehe in die Küche, um Wasser zu trinken. Ein seltsames Geräusch lässt mich in der Diele innehalten. Ein Rascheln, nein, ein Flüstern. Es kommt aus dem Arbeitszimmer meines Vaters. Ich nähere mich lautlos und horche angestrengt.
    »Hör auf«, zischt mein Vater. »Ich hab’s dir doch gesagt. Du sollst nicht mehr anrufen.« Ein Augenblick vergeht, dann sagt er: »Nein. Es ist vorbei. Auf Wiederhören.«
    Ich bin wie erstarrt. Ich weiß, ich sollte mich umdrehen und mir wie geplant ein Glas Wasser aus der Küche holen, aber meine Muskeln wollen mir nicht gehorchen. Mit wem hat mein Vater gesprochen? Es klang, als wollte er eine Beziehung beenden. Aber er hatte doch keine Verabredungen … oder doch?
    Er kommt aus dem Zimmer. Er sieht älter aus als sonst, tiefe Falten zerfurchen seine Stirn. Sein Rücken wirkt gebeugt. Er sieht mich überrascht an.
    »Vee, wie lange stehst du schon da?«
    »Nicht lange«, sage ich gewollt beiläufig.
    Er steckt sein Handy ein und nimmt seine Jacke. »Ich muss noch ein paar Sachen besorgen. Soll ich dir etwas mitbringen?«
    »Nein.«
    »Okay, es dauert nicht lange.«
    Dann ist er verschwunden.
    Ich bleibe auf der Schwelle des Arbeitszimmers stehen und denke über den Anruf nach. Zugegeben, ich habe mir immer vorgestellt, dass mein Vater den Rest seines Lebens allein bleibt. Mir ist nie der Gedanke gekommen, dass er nach dem Tod meiner Mutter mit einer anderen Frau zusammen sein könnte.
    Auf seinem Schreibtisch steht ein gerammtes Foto meiner Mutter. Von der Hochzeit. Sie lächelt strahlend in die Kamera, als hätte sie ihr ganzes Leben vor sich, als würde nie etwas Schlimmes passieren. Als würde sie niemals sterben, als würde mein Vater niemals jemand anderen lieben als sie.
    Schon der Anblick macht mich traurig. Eben noch habe ich einen tollen Jungen geküsst, mich vielleicht ein bisschen verliebt. Habe alle Vorsicht in den Wind geschlagen und mich auf jemanden eingelassen. Jetzt aber habe ich den Beweis, dass alle guten Dinge, so schön sie auch sein mögen, irgendwann enden.
    Ich drehe mich um und gehe mit bleischwerem Herzen die Treppe hinauf.

17. Kapitel
    D as

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