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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jill Hathaway
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und schnieft. »Okay.«
    Dann geht sie ans Waschbecken, spritzt sich Wasser ins Gesicht und streicht sich die Haare glatt. Als unsere Blicke sich im Spiegel begegnen, lächelt sie. »Danke, Vee.«
    »Kein Problem. Was hat Nasty denn gesagt?«
    »Er war ziemlich gnädig, weil Sophie gestorben ist. Er sagte, er wisse, dass ich gerade eine Menge durchmache, daher habe ich nur drei Tage Unterrichtsarrest bekommen. Ich soll mir Sachen suchen, an denen ich arbeiten kann.«
    Der Unterrichtsarrest ist nicht so schlimm, obwohl er von den Schülern Einzelhaft genannt wird. Man muss dabei in einem kleinen Raum sitzen, der ans Lehrerzimmer grenzt, und sich anhören, wie die Lehrer darüber klatschen, wer mit wem vögelt und wer in der Abschlussprüfung bei
Macbeth
geschummelt hat. Vor der Tür gibt es einen Getränkeautomaten, und wenn man es geschickt anstellt, kann man sich eine Dose Limo holen, um den Aufenthalt angenehmer zu gestalten. Das weiß ich allerdings nicht aus eigener Erfahrung.
    Matties Haut ist ganz fleckig, ihre Augen sind rot und geschwollen. Auf ihrer Wange formt sich ein roter Striemen, wo Amber sie geschlagen hat. Sie sieht aus, als würde sie jeden Augenblick wieder anfangen zu weinen.
    »Soll ich zu den Lehrern gehen und Aufgaben für dich besorgen?«
    »Würdest du das tun?«, fragt sie hoffnungsvoll. »Ich will nicht, dass mich einer so sieht.«
    »Klar. Mir ist sowieso nicht nach Unterricht.« Ehrlich gesagt, ist mir auch nicht danach, Rollins zu begegnen, nachdem er mich heute Morgen geschnitten hat.
    Sie umarmt mich. »Du bist die Beste!«
    Ich bringe sie zum Lehrerzimmer. Das Fenster in der Tür ist mit Zeitungen zugeklebt – vermutlich sollen wir nicht sehen, wie sie da drinnen Party machen. Mattie winkt und geht hinein. Als sie verschwunden ist, überlege ich, wohin ich zuerst gehen soll. Ich entscheide mich für ihren Englischunterricht, das Klassenzimmer ist am nächsten. Ihre Lehrerin ist nicht begeistert, als ich den Unterricht störe, drückt mir aber wortlos eine Lektürehilfe zu
Romeo und Julia
in die Hand. Die anderen Lehrer sind freundlicher und geben mir einige Arbeitsblätter mit.
    Dann gehe ich zu Matties Spind, um die Schulbücher zu holen. Man kann 97 , 3  Prozent der Spinde an der City High öffnen, indem man an der richtigen Stelle dagegenschlägt. Daher tragen die Leute auch ihre Wertsachen mit sich herum. Matties Spind, den sie mit Sophie geteilt hat, ist eine Katastrophe. An der Innenseite der Tür klebt ein Sammelsurium aus Fotos, dazwischen gekritzelte Nachrichten wie
Scotch ist eine heiße Nummer
und
Mattie + Sophie = Best Friends Forever.
    Mein Blick fällt auf ein Bild ganz in der Mitte, dem Zentrum des Sturms. Mattie steht zwischen Sophie und Amber, sie haben die Arme umeinandergelegt. Alle drei sind als Katzen geschminkt, es muss also vom Jahrmarkt im letzten Sommer stammen. Es kommt mir vor, als wäre das Foto eine Million Jahre alt. Eines der Mädchen ist jetzt tot, die beiden anderen haben sich soeben im Flur geprügelt. So schnell können sich Dinge verändern.
    Unten im Spind, unter den Turnschuhen, unter einem Stapel Flyer für die Autowaschaktion der Cheerleaderinnen im letzten September, unter etwas verdächtig Schleimigem in einer Papiertüte, entdecke ich Matties Englischbuch. Kopfschüttelnd ziehe ich es hervor und komme mir ein bisschen wie der Zauberer vor, der ein Tischtuch unter einem Haufen Porzellan hervorzieht.
    Als ich mich aufrichte, sehe ich Amber auf mich zukommen. Ihr Haar hängt in langen, platten Strähnen herunter, und sie hat offensichtlich geweint. Es ist wirklich traurig. Ich habe sie als Häufchen Elend auf der Toilette des Beerdigungsinstitutes gesehen und später miterlebt, wie sie mit Scotch Becker herummachte. So tief ist sie gesunken. Ich habe nur Mitleid mit ihr.
    Sie bleibt vor ihrem Spind stehen und dreht den Knauf. Als sie ihn öffnen will, tut sich nichts. Sie versucht es wieder und wieder. Die Tür bleibt verschlossen. Sie schreit und hämmert auf das Metall ein, bevor sie resigniert die Arme hängen lässt.
    »Amber?«
    Sie wendet mir ihr verzweifeltes Gesicht zu.
    »Alles klar mit dir? Brauchst du Hilfe?«
    Sie lacht verbittert. »Ich brauche eine Menge Dinge. Vielleicht könntest du die Zeit für mich zurückdrehen. Das wäre toll. Dann würde ich mich nämlich nicht wie eine Idiotin verhalten. Ich würde das Foto nicht herumschicken. Ich wäre keine Schlampe. Ich würde keinen Riesenstreit mit meiner besten Freundin

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