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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jill Hathaway
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Abendessen ist ungemütlich.
    Mattie sitzt da, dreht den Löffel in der Hand und weicht Dads Blicken aus. Er füllt unsere Teller mit dampfendem Chili und stellt sie schweigend vor uns hin. Das Chili ist eine Wiedergutmachung, weil er nicht zu Hause war, als Mattie vom Tod ihrer besten Freundin erfuhr und ich seine Aufgabe übernehmen musste. Ich frage mich, ob er noch etwas anderes wiedergutmachen will. Ob er uns etwas verheimlicht hat – vielleicht dass er eine Beziehung mit jemandem hatte, den er vorhin am Telefon abserviert hat.
    Er krümelt sich einige Salzcracker über sein Chili und fragt beiläufig, fast zu beiläufig: »Was ist denn heute mit Amber passiert, Mattie?«
    Sie schaut konzentriert auf ihren Teller.
    »Sie hat Sachen über Sophie gesagt.«
    »Was für
Sachen
?« Er nimmt einen Löffel und kaut methodisch, lässt Mattie aber nicht aus den Augen.
    Nach einer langen Pause sagt sie: »Sie hat gesagt, Sophie wäre von Scotch Becker schwanger gewesen.«
    Mein Vater schluckt und runzelt die Stirn. »Und warum hat dich das wütend gemacht?«
    Mattie knallt den Löffel auf den Tisch. »Weil sie gesagt hat, dass Sophie sich deswegen umgebracht hat, und ich weiß, dass es nicht stimmt.«
    »Und darum hast du sie geschlagen?«
    »Ich habe sie nicht geschlagen!« Jetzt ist sie richtig wütend. »Sie hat mich geschlagen. Ich habe sie nur beschimpft. Deswegen habe ich nun wirklich keine Strafe verdient.«
    Mein Vater bleibt ruhig. »Nun, Mr Nast kann es nicht dulden, dass Jugendliche sich auf dem Schulflur prügeln. Er muss eine Schule leiten. Das wird Konsequenzen haben, selbst wenn …«
    »Selbst wenn?« Mattie schaut ihn herausfordernd an.
    »Selbst wenn du leidest.«
    Sie stößt einen langen Atemzug aus. »Du hast ja
keine
Ahnung.« Sie nimmt den unberührten Teller mit Chili, geht in die Küche und knallt ihn lautstark auf die Spüle. Mein Vater zuckt zusammen.
    »Ich gehe ins Bett«, verkündet Mattie auf dem Weg durchs Esszimmer. Sie stampft die Treppe hinauf und schlägt ihre Zimmertür zu.
    Seufzend vergräbt mein Vater den Kopf in den Händen.
    Ich würde ihr nur zu gerne nachgehen, weg von diesem deprimierenden Familienessen, doch es wäre grausam, meinen Vater hier sitzen zu lassen. Als er den Kopf hebt, schimmern Tränen in seinen Augen.
    »Ich schaffe das nicht allein«, sagt er mehr zur Decke als zu mir. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Ich weiß nicht,
ob
ich reagieren soll.
    »Mein Gott, wenn nur deine Mutter hier wäre. Ich bin dafür einfach nicht … gerüstet. Ich kann damit nicht umgehen.«
    Dass er sich so nach meiner Mutter sehnt, berührt mich tief. In diesem Augenblick wünsche ich mir beinahe, er hätte eine Freundin. Er braucht jemanden außer Mattie und mir – jemanden zum Reden.
    Ich ergreife seine Hand. »Du machst das toll, Dad. Mattie ist nur durcheinander. Sie wird schon wieder.« Ich hoffe, es ist keine Lüge.
    Er schaut auf unsere verflochtenen Hände, und eine Träne rinnt ihm über die Wange. Er drückt meine Hand und versucht zu lächeln. »Manchmal erinnerst du mich so sehr an deine Mutter, Vee. Sie hat immer die richtigen Worte gefunden. Es war, als könnte sie in euch hineinsehen und genau erkennen, was ihr fühlt. So bist du auch.«
    Bei seinen Worten wird mir ein bisschen unbehaglich. Meist kommt es mir vor, als würde ich andere Menschen
zu genau
kennen – ihre Geheimnisse fressen mich innerlich auf.
    »Würdest du mir einen Gefallen tun? Geh zu deiner Schwester. Sie braucht Hilfe. Vermutlich verstehst du viel besser als ich, was sie gerade durchmacht. Du wirst schon die richtigen Worte finden.«
    Ich bringe ein kleines Lächeln zustande. »Na klar, Dad.«
    Sein Handy summt. Er holt es aus der Tasche, schaut aufs Display und meldet sich. »Hallo?« Die Tränen sind verschwunden, er spricht in geschäftsmäßigem Ton. »Kein Problem. In einer halben Stunde bin ich da.«
    Er hängt ein und schaut mich an. »Es tut mir leid, Vee, ich muss weg.«
    »Ich weiß. Geh nur«, sage ich.
     
    Mattie liegt auf ihrem Bett und blättert in einem Fotoalbum aus glücklichen Zeiten. Auf einer Seite schubst mich meine Mutter auf einer Schaukel an, meine Schwester ist im Hintergrund in einem rosa Buggy festgeschnallt. Sie streckt die Arme aus, als wollte sie mitmachen. Auf der nächsten Seite kochen meine Eltern zusammen. Ich tanze zwischen ihnen herum, probiere etwas von einem Holzlöffel und verziehe das Gesicht. Mattie sitzt im Hochstuhl, einen Haufen Müsli vor

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