Slide - Durch die Augen eines Mörders
hat. Mist. Ich habe überhaupt keine Lust, bei Cheerleaderinnen den Babysitter zu spielen.
»Amber Prescott ist heute Abend bei uns. Sollen wir lieber zu dir gehen?« Ich hoffe inständig, dass er ja sagt, doch ich kenne die Antwort schon.
Panik huscht über sein Gesicht und verschwindet wieder. »Äh, meine Mom … streicht das Wohnzimmer. Totales Chaos. Überall Abdeckplanen. Tut mir leid.«
Seit ich ihn kenne, war ich noch nie bei Rollins zu Hause. Wann immer ich es vorschlage, findet er irgendeine Entschuldigung – dass seine Mom das Badezimmer streicht oder neue Schränke einbaut. Inzwischen muss das Haus ein richtiger Palast sein, so viel wie sie renoviert haben. Ich vermute, dass seine Mutter in Wirklichkeit Alkoholikerin oder Messie ist.
»Schon in Ordnung.« Ich zucke mit den Schultern. »Dann verbannen wir Mattie eben in ihr Zimmer.«
Seine Lippen kräuseln sich zu einem Grinsen. »Dann bis heute Abend.« Er hängt sich den Rucksack über die Schulter und verschwindet.
Nachdem ich meine Bücher eingepackt habe, werfe ich die Tür des Spindes zu und drehe den Knauf. Ein paar Mädchen, mit denen ich früher befreundet war, gehen flüsternd und kichernd an mir vorbei. Sie lachen aber nicht über mich. Schauen mich nicht mal an. Ich bin wie ein Geist für sie, nicht existent. Ich sehe ihnen nach. Vermutlich sind sie auf dem Weg zum Cheerleader-Training. Seufzend gehe ich in die entgegengesetzte Richtung.
Als ich an Mr Goldens Zimmer vorbeikomme, bemerke ich etwas Seltsames. Ein Mädchen sitzt auf einer Couch, und Mr Golden beugt sich über sie. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, nur ihr langes schwarzes Haar. Es hört sich an, als würde sie schluchzen. Golden sieht über die Schulter und bemerkt mich. Verlegen schaue ich zu Boden und gehe schnell weiter.
Ich stürme zum Ausgang, die Augen auf meine Schuhe gerichtet, und frage mich, was ein weinendes Mädchen nach dem Unterricht in Mr Goldens Zimmer zu suchen hat.
Als ich die Tür aufstoße, pralle ich mit jemandem zusammen. Zuerst sehe ich nur ein grünes T-Shirt. Dann werden meine Wangen heiß, als ich merke, wen ich bei meiner Flucht beinahe umgerannt habe.
Zane strahlt mich an. »Das Wochenende ruft, was?«
Ich erwidere sein Lächeln. »Ist doch immer so.«
»Sicher. Meine Freunde aus Chicago kommen, um sich unser neues Haus anzusehen. Wir gehen zu einem Konzert. Was hast du vor?«
»Ach, das übliche – Sackhüpfen.«
»Wie nett, viel Spaß dabei. Und niemanden umrennen.« Er zwinkert mir zu.
»Dann geh mir lieber aus dem Weg«, erwidere ich grinsend und trete hinaus in die Spätnachmittagssonne. Die Luft riecht nach trockenem Laub. Nur wenige Autos stehen auf dem Schülerparkplatz. Ich frage mich, welches davon Zane gehört, stecke mir die Kopfhörer in die Ohren und gehe los.
Auf dem Heimweg erinnere ich mich wieder an die Szene in Mr Goldens Zimmer und frage mich, wer das Mädchen auf dem Sofa war und warum sie so geweint hat.
An unserer Haustür klebt ein Zettel, der im Wind flattert. Beim Näherkommen erkenne ich ein kleines Blatt aus einem Tischkalender. Ich reiße es ab und nehme es mit hinein. Das Datum ist mehrmals mit Rotstift eingekreist.
19 . Oktober – heute.
Komisch.
Ich erinnere mich, dass Sophie vorhin auf der Toilette gesagt hat, Mattie habe ihren Geburtstag vergessen. Will sie meine Schwester auf diese Weise daran erinnern? Eigentlich passt es nicht zu ihr, aber so verzweifelt, wie sie war, könnte sie vielleicht dazu imstande sein. Ich stecke den Zettel in die Hosentasche. Sophie braucht Mattie und Amber nicht noch mehr Munition zu liefern. Wenn sie die beiden nur eine Weile in Ruhe lässt, legt sich die ganze Sache wieder. Dann finden sie jemand anderen, den sie fertigmachen können. In einer Woche sind sie wieder beste Freundinnen.
Ich bleibe eine Weile so stehen und spüre, wie mir die Leere des Hauses in die Knochen dringt. Schatten kriechen über den Boden. Ich höre nur das stete Ticken der Standuhr im Wohnzimmer. Ich bin vollkommen allein.
Mattie ist mit Amber beim Cheerleader-Training, Dad im Krankenhaus. Mom ist … nun, Mom ist schon lange nicht mehr hier.
Im Haus hat sich fast nichts verändert in den fünf Jahren, seit Mom an Krebs gestorben ist. Dieselben verblichenen Vorhänge mit den roten Kirschen. Dieselbe gelbe Tapete. Derselbe Kirschholzboden mit dem alten rot-goldenen Teppich. Derselbe verzierte Silberspiegel gegenüber der Haustür.
Ich stelle mich vor den Spiegel. Das Mädchen
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