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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
Autoren: Dan Kieran
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mir, ich würde zurückkehren.
    Bislang ist das nicht geschehen, aber im Rückblick frage ich mich, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn ich sie berührt hätte. Das Gefühl, nicht das gefunden zu haben, was man gesucht hat, habe ich seither noch oft gehabt. Wenn etwas ein »Muss« ist, scheinen sich das Staunen und die Faszination, die ich vorher dafür empfunden habe, eher zu verflüchtigen , wenn ich schließlich davor stehe. Manchmal erlebt man einen kurzen Schockeffekt, wenn die Sehenswürdigkeit besonders gewaltig ist, aber meistens wird mein Kopf ganz leer, wenn ich mich unter die Touristen mische und mich in eine ordentliche Schlange einreihe. Ich bin an einigen der berühmtesten Stätten der Welt ziellos herumgewandert – nicht im positiven Sinne – und fand das Ganze immermerkwürdig nichtssagend. Ich bin durch Kirchen, Museen und Galerien getrottet – so viele, dass ich sie kaum mehr unterscheiden kann – und erinnere mich nur noch daran, wie sehr mir dabei die Beine wehtaten. Ich frage mich, ob wir alle konspirativ beschlossen haben, darüber zu schweigen. Oder findet irgendjemand diese Gepflogenheit auch nur ansatzweise bereichernd?
    Es gibt noch andere verräterische Anzeichen für ein »Muss«. In London merkt man, dass man in der Nähe einer berühmten Sehenswürdigkeit ist, wenn man anständige öffentliche Toiletten entdeckt. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Regierung vor allem daran interessiert ist, wie die Touristen die Stadt erleben, was auf Kosten der Einheimischen geht, doch das soll hier nicht vertieft werden. Die Atmosphäre an solchen Orten ist auf der ganzen Welt die gleiche – oft wirkt sie vollkommen künstlich, was dadurch verstärkt wird, dass die Einheimischen sie um jeden Preis meiden.
    Der St. James’s Park in der Nähe des Buckingham Palace ist ein typisches Beispiel. Die Londoner gehen nie dorthin. Er ist voller Touristen, die Hotdogs oder T-Shirts und Hüte kaufen, die mit der britischen Flagge geschmückt sind. Solche Orte werden zum Symbol einer Nation, doch sie sind vollkommen künstlich, existieren nur in den Köpfen der Touristen und bestätigen das, was sie erwartet haben. Interessanterweise handelt es sich meist um historische Sehenswürdigkeiten, die die Vergangenheit repräsentieren, nicht die Gegenwart. Sie spiegeln nur selten die Vorstellungen, Werte oder Sichtweisen wider, die die jeweilige Kultur zu dem Zeitpunkt ausmachen, an dem man sie besucht. Seltsamerweise scheint ihr historischer, kultureller oder geografischer Bekanntheitsgrad dennoch so etwas wie Geborgenheit zu vermitteln.
    Natürlich haben Leute wie ich, Zweig und die anderenReiseschriftsteller, die ich erwähnt habe, gut reden, doch das eigentliche Faszinosum liegt darin, dass so viele unter uns damit zufrieden sind, auf diese Weise zu reisen. Ich behaupte nicht – mit den Worten von Evelyn Waugh –, dass »der Tourist immer der andere ist«, denn ich bin genauso wie alle anderen. Doch aus irgendeinem Grund wollen wir, wenn wir auf diese Weise reisen, unsere vorgefassten Ansichten bestätigt sehen. Die Touristen wollen ein Foto von einem Londoner Bus, einer roten Telefonzelle und dem Buckingham Palace, weil es beweist, dass sie dort gewesen sind. Häufig reicht es, ein Foto zu machen, und danach gehen wir zufrieden weiter. Aber tatsächlich sind wir kein bisschen über unsere vorgefassten Ansichten hinausgekommen.
    Warum sind diese Klischees eigentlich so tröstlich? Warum drängeln wir uns alle an diesen nichtssagenden Orten herum? Warum habe ich Fotos von mir auf dem Eiffelturm, der Karlsbrücke in Prag, der Spanischen Treppe in Rom, dem Markusplatz in Venedig oder dem World Trade Center in New York? Ich könnte ewig so weitermachen, so wie wir alle. Wonach sind wir wirklich auf der Suche?
    Nicht nur der Besuch der wichtigsten Sehenswürdigkeiten gibt uns beim Reisen ein Gefühl von Ordnung. Die Formulierungen, die wir benutzen, wenn wir darüber sprechen, sind ebenfalls aufschlussreich. Die Leute sagen: »Habt ihr dies und das besichtigt?« »O ja, das habe ich schon vor Jahren gesehen!« Als ob es ausreichen würde, irgendwo ein paar Stunden zu verbringen, um das Ganze vollständig zu erfassen. Wenn man nach London kommt, muss man den Buckingham Palace sehen, genauso wie in Rom das Kolosseum. Wenn man etwas einmal abgehakt hat, gibt es keinen Grund, wieder hinzufahren. Dazu kommt die Art und Weise, wie die Leute über das Reisen an sich sprechen. Wenn Sie abends im Pub
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