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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
Autoren: Dan Kieran
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die ich mich fünf Jahre später erinnere. Ich bin mir sicher, dass ich mich in Zukunft an andere Momente und andere Eindrücke von diesem Trip erinnern werde, weil das Reisen eine Erfahrung ist, die sich weiterentwickelt. Sie besteht nicht aus Fotografien oder aus vergangenen Momenten, die von Chronos dahingemäht wurden. Stattdessen bewahrt man sie in der eigenen Erinnerung, und wenn man ein kleines Stück davon braucht, eine andere Perspektive oder etwas bisher verborgen Gebliebenes, dann wird es im eigenen Bewusstsein auftauchen.

    Rupert Isaacsons Reise war ebenfalls noch nicht zu Ende, als er nach Hause zurückkehrte. Er nahm das, was er gelernt hatte, als er Rowan helfen wollte, zum Anlass, eine Stiftung namens »The Horse Boy Foundation« zu gründen. Heute bietet er Pferdetherapie für Menschen mit allen möglichen Arten von Autismus an. Durch die Liebe zu ihrem Sohn und reine Willenskraft sind er und Kristin auf eine neue Therapie gestoßen, die vielen anderen Familien Hoffnung bringt, weil sich herausgestellt hat, dass es die eigene Wahrnehmung verändern kann, wenn man sich auf ein Pferd setzt. Heute ist bekannt, dass das ständige Überprüfen der Körperhaltung, um das Gleichgewicht zu halten, die Teile des Gehirns aktiviert, die auch fürs Lernen zuständig sind. Zusammengenommen mit der Sicherheit, die ein Kind verspürt, wenn es von einem Erwachsenen gehalten wird, der hinter ihm auf dem Pferd sitzt, und der Tatsache, dass der Erwachsene das Kind beim Reiten mit Worten beruhigen kann, ohne es dazu zu zwingen, Augenkontakt zu haben (was für Autisten irritierend ist), scheint all das einigen autistischen Kindern dabei zu helfen, aus sich herauszukommen. Es ist auch belegt, dassbeim Reiten Oxytocin freigesetzt wird, das einem ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit vermittelt.
    Isaacsons Eingebung und seine innere Stimme, die ihn dazu verleiteten, die mongolische Steppe zu Pferd zu durchqueren, um nach den Schamanen zu suchen, ergibt somit auch im wissenschaftlichen Kontext einen Sinn, selbst wenn es zunächst so aussah, als wäre das Ganze vollkommen irrational. Es war sein Unterbewusstsein, das ihm sagte, dass er auf dem richtigen Weg ist.

Kapitel 6
Verliere den Kopf
    Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.
    Albert Einstein
    Wenn es eine Herangehensweise an das Reisen ist, einer scheinbar verrückten Eingebung ins Unbekannte zu folgen, dann bestünde das Gegenteil darin, auf die Suche nach Dingen zu gehen, von denen man bereits weiß, dass sie existieren. In London gehe ich auf meinem Weg zur Arbeit oft am Buckingham Palace vorbei, durch den Green Park oder hinüber zum Picadilly Circus, bevor ich Soho ansteuere. Am Buckingham Palace ist es immer voller Touristen, und mit den Jahren ist mir aufgefallen, dass die vielen Menschen, die dort aus den Bussen steigen, um durch das Gitter zu spähen, etwas Eigenartiges an sich haben.
    Auf dem Weg zum Buckingham Palace sind die Touristen aufgekratzt und plaudern miteinander, doch wenn sie vor dem Gebäude angelangt sind, scheint das aufzuhören. Sogar die kichernden Schulkinder, die alle die gleichen Rucksäcke tragen, scheinen in eine Art von Trance zu verfallen. Natürlich bleibt es nicht aus, dass manche für Fotos posieren,doch es gibt auch Menschen, die ins Leere starren und etwas verwirrt erscheinen. Die Straße ist gewöhnlich gesperrt, also strömen die Massen zum Springbrunnen und laufen dort im Kreis herum, als wären sie auf der Suche nach etwas, das offensichtlich gar nicht da ist.
    Wenn man selbst ein Tourist ist, wird einem dieser leere Gesichtsausdruck vermutlich nicht weiter auffallen, aber er ist deutlich erkennbar, wenn man einen Ort gut kennt. Auch ich habe bei unzähligen Gelegenheiten ein verblüfftes Gesicht gemacht. Als ich 15 Jahre alt war, besichtigte ich die Pyramiden und habe einen Moment lang gestaunt, doch dann setzte schnell die Langeweile ein. Ich stand da und dachte: »Wie lange muss ich sie mir denn jetzt ansehen?« und »Wonach halte ich eigentlich Ausschau?« Als wir ein paar Stunden später wieder im Bus saßen, empfand ich eine deutliche Leere, für die ich die Tatsache verantwortlich machte, dass ich die Pyramiden zwar gesehen, aber nicht berührt hatte. Ich kann mich immer noch daran erinnern, wie enttäuscht ich war, dass ich keinen angemessenen Eindruck gewonnen hatte, und schwor
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