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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
Autoren: Dan Kieran
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aussetzen, wenn wir wirklich reisen wollen.

    Griffiths untersucht in Wild auch den Unterschied zwischen dem Reisen als intuitives Mittel, um neue Wege der Erkenntnis zu entdecken, und dem Vorgehen jener, die es dabei auf die kalkulierte Vernichtung von Wissen abgesehen haben. Die Geschichten von den entsetzlichen Taten der Missionare und dem Tod und der Zerstörung, die sie den indigenen Gemeinschaften brachten, sind schwer zu ertragen. Griffiths berichtet, wie die Missionare in Peru darin wetteiferten, »unkontaktierte« Stämme ausfindig zu machen, indem sie in Hubschraubern die Flüsse hinaufdonnerten. Ihre bevorzugte Methode, um diese Menschen zu täuschen, bestand darin, ihnen Spiegel zu zeigen und den Indianern das Gefühl zu geben, sie hätten übernatürliche Kräfte und der Gott der Christen könne sie sehen.
    Griffiths erklärt, dass diese Stämme die Landschaft als Erweiterung ihrer selbst wahrgenommen hätten, bevor sie ihr eigenes Spiegelbild erblickten. Dieser symbolische Akt verursacht den Bruch, der es den Missionaren letztlich ermöglicht, die Menschen von ihrer Kultur und ihrem Land zu trennen. Sie begegnet einer Missionarsfamilie aus Texas und beschreibt den Ausdruck auf den Gesichtern der Kinder als »mörderische Gleichgültigkeit«, als hätte die fehlende Neugier auf andere Denkweisen eine Einöde in ihrem Geist hinterlassen. Die Missionare behaupten, sie wollten die Seelen der Menschen retten, doch sie bringen Krankheiten mit, die die Medizinmänner nicht heilen können, weshalb sie den Glauben an ihre eigene traditionelle Heilkunde verlieren. Griffiths beschreibt einen Ort namens Itahuaniain Peru. Sobald die Missionare sich dort niedergelassen hatten, begannen sie mit dem Straßenbau, und bald darauf kamen auch die Holzfäller. Heute befindet sich dort, wo einmal Itahuania war, nur noch Brachland. In Ecuador folgte Texaco den Missionaren auf dem Fuße. Indianer von Stamm der Harakmbut, denen Griffiths ebenfalls in Peru begegnete, erzählten ihr, dass die Krankheiten, die die Missionare mitbrachten (Grippe, Fieber, Masern), 50 Prozent der Bevölkerung auslöschten. Sie schreibt: »Soweit ihr Schicksal überhaupt bekannt wurde, haben die Stämme in ganz Südamerika innerhalb von fünf Jahren nach dem ersten Kontakt zwischen einem Drittel und der Hälfte ihrer Angehörigen verloren.« Das anschaulichste Zitat stammt von einem alten Harakmbut-Indianer namens Tarzan, der sich daran erinnert, wie die Missionare kamen:
    Niemand wollte zur Schule gehen, und nachdem die Missionare kamen, starben unsere Kinder. Wir lernten einiges kennen: Geld, Spanisch und die Arbeit. Wir lernten, dass wir für Geld arbeiten mussten, um Dinge zu bekommen, die wir vorher nicht brauchten … Jetzt wissen wir, dass es uns an Geld fehlt , was wir vorher nicht gewusst haben.
    Das ist eine leider nur allzu treffende Beschreibung einer Kultur, deren Identität von der Wahrnehmung der linken Gehirnhälfte bestimmt wird. Derart formuliert, gerät unser westlicher Geldbegriff und die Annahme, dass die globale Wirtschaft den Inbegriff menschlichen Fortschritts darstellt, ins Wanken. Die Grundfesten, auf denen unsere Identität und unser Selbstverständnis beruhen, laufen Gefahr zu kollabieren. Das ist genau die Herausforderung für unser unhinterfragtes Selbstbild, vor die das Reisen uns stellen sollte.
    Unglücklicherweise legen die Missionare häufig dieselben Verhaltensweisen an den Tag wie die ersten westlichen Entdecker. Die dunkle Seite der Reiselust zeigt sich in dem Drang, die abgelegensten Winkel der Erde zu erobern, was dazu führte, dass in den Kolonien Millionen von Menschen versklavt wurden. Unbekannte Teile der Welt (zumindest für den Westen) zu kartografieren und zu vermessen hatte durchaus wissenschaftlichen Nutzen und ging der Katalogisierung der Natur voraus, doch die Informationen, die dabei gesammelt wurden, waren auch von großem Wert für das expandierende britische Empire und vermittelten dem Militär das nötige Wissen, um in ein Land einzudringen und anschließend seinen Einfluss ausweiten zu können.
    Wir müssen akzeptieren, dass diese Haltung sich auch in unseren eigenen Reisevorstellungen wiederfindet. Das »Zeitalter der Entdeckungen« führte unsere Vorfahren in Kulturen, für die das Reisen ein Fluch war; in vielen Fällen war ihre Auslöschung und, in Griffiths’ Worten, eine »Nettoverringerung« des Weltwissens die Folge. Diese Haltung zeigt sich noch immer in den gebräuchlichen westlichen
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