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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
Autoren: Dan Kieran
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Namen für geografische Wahrzeichen wie den Mount Everest, den die Sherpas »Mutter des langen Lebens« nennen. Griffiths schreibt: »Seiner Identität als weibliche Gottheit beraubt, wurde er nach einem männlichen Beamten benannt, dem obersten Landvermesser von Indien, George Everest. Mit einem Streich war aus einer Göttin ein Bürokrat geworden.«
    Diese Art des Anti-Reisens, das die Orte zerstört, nach denen wir uns am meisten sehnen, bildet sich in großen Teilen der modernen Tourismusbranche ab. Ganze Landstriche sind von ihren indigenen Kulturen gesäubert und bereinigt worden, um Platz für die homogenen Handelsmarken zu schaffen, die sich zunehmend bis in die entlegenstenWinkel der Erde verbreiten. Griffiths findet Trost in der Wildnis, die schon existierte, bevor die Bauunternehmer kamen. Ihr erscheinen die Supermärkte und Fertiggerichte für die Mikrowelle weitaus bedrohlicher als jeder Dschungel, und für mich liegt der Zweck ihres Buches darin, unsere Vorstellung von dem, was uns angeblich Sicherheit gibt, in Frage zu stellen.

    Griffiths untersucht, wie andere Kulturen ihre Umwelt begreifen – und wie grundverschieden ihre Wahrnehmung von unserer ist –, was uns zu McGilchrists Schlussfolgerung darüber führt, wie die beiden Hemisphären des Gehirns die Entwicklung des Menschen beeinflusst haben. Ich kann nur schwer glauben, dass mein Gehirn dazu fähig ist, ein Lied zu lernen, das mir dabei behilflich wäre, den Dschungel oder den australischen Busch zu durchqueren, doch diese Fähigkeit ist irgendwo in mir verborgen und hätte abgerufen werden können, wenn ich unter anderen Umständen aufgewachsen wäre. Ich muss jedoch gar nicht dazu fähig sein, dieses Lied zu lernen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie anders ich meine Umwelt erleben würde, wenn ich dazu in der Lage wäre. Vielmehr kommt es darauf an, sich darüber bewusst zu sein, dass es andere Arten des »Wissens« gibt, sie zu respektieren und alles zu tun, was in unseren Kräften liegt, um sie vor der Uniformität der westlichen Perspektive zu bewahren.
    Wenn man davon ausgeht, wie das Gehirn die Welt erfasst, dann sind die verschiedenen Kulturen und Formen des »Wissens«, die auf der Welt existieren, genau das, wonach wir alle letztlich suchen, wenn wir reisen. Paradoxerweise hat unsere eigene Kultur die Tendenz, alles auszuradieren,was ihr unterwegs begegnet, was der Grund dafür ist, dass das, wonach wir suchen, oft so schwer zu finden ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf Reisen ebenso sehr nach dem Ausschau halten, was wir vergessen haben, wie nach dem, was wir nicht kennen. Nicht als Individuen, sondern als Spezies. Wir wollen wissen, wer wir sind und wo wir herkommen. Wir wollen uns an unsere Herkunft und an die unterschiedlichen Definitionen von »Wissen« erinnern . Das ist möglich, weil diese Entdeckungsreise in der evolutionären Struktur jedes menschlichen Gehirns erhalten ist. Vielleicht soll der Drang zu reisen uns daran erinnern, wozu wir fähig sind, und dieser Instinkt steckt auch in der viel zitierten Phrase, das Reisen würde »den geistigen Horizont erweitern«.

    McGilchrist ist der Ansicht, dass die Entwicklung des Menschen an sich ein Kampf zwischen der linken und rechten Hemisphäre des Gehirns sei. Er sagt, auch wenn wir in einer Zeit leben, in der die Perspektive der linken Hemisphäre vorherrschend sei, habe es in der Geschichte des Menschen Gesellschaften gegeben, die eine ausgewogenere Sichtweise hatten. Das betrifft auch die Entwicklung des westlichen Reisens.
    Vor der Reformation im England des 16. Jahrhunderts, als Heinrich VIII. mit Rom brach und die anglikanische Kirche gründete (damit er Anne Boleyn »rechtmäßig« heiraten konnte, die er dann später köpfen ließ), verband man das Reisen vor allem mit der spirituellen Pilgerfahrt, der wir uns im letzten Kapitel zuwenden werden. Doch als England sich vom weitgehend katholischen Kontinent getrennt hatte, wurde es für die Protestanten sehr schwierig, außerhalbihres Heimatlandes auf Reisen zu gehen. Nach Rom zu fahren war damals etwa so, als hätte ein Amerikaner während der Hochphase des Kalten Kriegs Moskau besuchen wollen. Das Reisen wurde beinahe zu einem Akt des Verrats; gute Protestanten kannten ihren Platz und blieben zu Hause.
    Als die religiöse Pilgerfahrt an Bedeutung verlor, musste der Zweck von Auslandsreisen neu definiert werden. Italien war das Zentrum der katholischen Kirche und zugleich die Heimat der Renaissance –
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