Small World (German Edition)
Langweiler.«
Inga deutete auf die Hochzeitsgäste. »Findest du die hier amüsanter?«
Elli schenkte einem Paar, das Arm in Arm an der Terrasse vorbeischlenderte, ihr Chanel-Lächeln.
»Nein, amüsanter sind die nicht. Aber wichtiger. Man muß schon genug bedeutende Langweiler ertragen. Warum soll man sich auch noch mit den unbedeutenden herumschlagen?«
»So denkst du?«
»So denkt Thomas.«
»Und du?«
Elli nahm einen Schluck aus dem Champagnerglas. »Ich? Ich lasse mich scheiden.«
Das kam überraschend. Inga hatte die Ehe von Elli nicht als etwas betrachtet, was den Aufwand einer Scheidung lohnte.
»Das bist du doch praktisch schon lange.«
»In Zukunft möchte ich es auch theoretisch sein.«
»Warum denn?«
Elli lächelte. »Es gibt jemanden, der das möchte.«
Inga strahlte sie an. »Hört das denn nie auf?«
»Das mußt du Elvira fragen. Ich bin erst sechsundvierzig.«
Die Ländlerkapelle bei der Fichtengruppe spielte Hoch soll’n sie leben , und die Gäste dort stimmten ein. Sie standen auf und prosteten Urs und seiner Braut zu.
»Armes Mädchen.«
»Wenn das die Frau ist«, wunderte sich Inga, »die er die ganze Zeit gesucht hat, dann hätte er all die andern vor ihr auch heiraten können.«
Elli warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Simone war einfach gerade aktuell, als Elvira beschloß, daß die Zeit für Urs gekommen sei. So wie damals Urs’ Mutter gerade aktuell war, als Elvira beschloß, daß für Thomas die Zeit gekommen sei.«
»Das klingt wie im letzten Jahrhundert«, lachte Inga.
»Schau dich doch um«, erwiderte Elli. »Das ist das letzte Jahrhundert.«
Elvira Senn hielt Hof im Brautzelt und wirkte nicht, als ob es ein Höchstalter für die Liebe gäbe. Sie strahlte vor Zufriedenheit und funkelte vor Juwelen, war schlagfertig und charmant und wahrte stets eine Handbreit Luft zwischen der Lehne des gepolsterten Stuhls und ihrem geraden Rücken.
Thomas saß ihr gegenüber und war weniger gelöst. Ellis Verhalten irritierte ihn. Normalerweise mimten sie bei gesellschaftlichen Anlässen das glückliche Paar, dessen Erfolgsrezept für die perfekte Ehe lautete: jedem seinen Freiraum. Aber heute hielt sie ihn auf Distanz. Sie hatte sich geweigert, mit ihm als quasi Bräutigamsmutter die Runde durch die Gäste zu machen, sie hatte mit den Brauteltern (einem Paar, zugegebenermaßen etwas overdressed, das die Begeisterung darüber, daß ihre Tochter so weit über ihre Verhältnisse geheiratet hatte, schlecht verbergen konnte) nicht mehr als zwei Sätze gewechselt. Und sie ging ihm ganz unverhohlen aus dem Weg.
Auch mit seiner Rolle als Nummer zwei konnte er sich nicht anfreunden. Bisher war bei solchen Anlässen immer er das Zentrum der Aufmerksamkeit gewesen. Oder sollte es seine Frau oder Urs gewesen sein, dann immer, weil er es so gewollt hatte. Diesmal war es anders. Urs wurde gefeiert als der kommende Mann. So weit war Thomas noch nicht.
Was ihn aber am meisten aus dem Konzept brachte, war Koni Lang. Früher wäre er hier aufgetaucht, mit oder ohne Einladung. Koni wäre zwar an der Türkontrolle hängengeblieben, aber er besaß für solche Situationen immer noch ein Auftreten, das zumindest bewirkt hätte, daß jemand vom Sicherheitsdienst gekommen wäre, um Thomas zu holen. »Draußen steht ein Herr, der sagt, er sei Ihr ältester Freund und hätte die Einladung zu Hause liegenlassen.«
Aber diesmal würde er nicht aufkreuzen. Er war in Italien. Er hatte Urs und Simone eine sehr formelle Glückwunschkarte und einen schönen Strauß von »Blossoms«, dem aufsehenerregendsten Blumengeschäft der Stadt, schicken lassen. Thomas hatte er einen persönlichen Brief geschickt.
Lieber Tomi
In ein paar Tagen beginnt für Dich eine neue Phase Deines Lebens: Dein Sohn wird eine Familie gründen, und damit ist der letzte Schritt zur Stabübergabe gemacht. Bald wirst Du in die Ränge zurücktreten mit dem beruhigenden Gefühl, daß Dein und Elviras Werk in guten Händen ist.
Auch mein Leben hat eine entscheidende Wende genommen. Stell Dir vor, ich habe auf meine alten Tage die Frau meines Lebens kennengelernt. Ich bin verliebt wie ein Gymnasiast, habe aufgehört zu trinken, und das Leben, das mir (und damit ja auch Euch) in letzter Zeit so manchen Streich gespielt hat, scheint es plötzlich gut mit mir zu meinen.
Ist es nicht seltsam, wie wir wieder einmal zur gleichen Zeit an ganz verschiedenen Orten an einen Wendepunkt in unserem Leben gekommen sind? Hast Du nicht auch manchmal das
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