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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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ging mit ihm in sein »Herrenzimmer«, hörte sich sein Gejammer an, teilte seine Empörung und bestärkte ihn in seiner Meinung über Elli, solange ihre rasch erschöpfte Geduld das zuließ. Dann kam sie auf Konrad Langs Brief zu sprechen. Thomas konnte sich nicht erinnern, was er damit gemacht hatte, wußte nur, daß er ihn vor dem Mittagessen noch hatte. Es war Elvira, die ihn schließlich zusammengeknüllt in der Tasche seines Morgenrocks fand.
    Sie strich ihn glatt und las ihn sorgfältig durch. Dann knüllte sie ihn wieder zusammen. »Er phantasiert.«
    »Er hat aber aufgehört zu saufen, schreibt er.«
    »Und das glaubst du?«
    »Aber mit dem Wendepunkt hat er leider recht.«
    Elvira legte den zusammengeknüllten Brief in den großen Kristallaschenbecher, der auf dem Beistelltischchen neben ihrem Sessel stand. »Warum fährst du nicht irgendwohin mit ihm. Das bringt dich auf andere Gedanken.«
    »Ich kann ihn doch jetzt nicht von seiner Liebsten trennen.«
    »Ein paar Wochen werden es die beiden wohl ohne einander aushalten.«
    »Ich weiß nicht. Es scheint ihm so gut zu gehen.«
    »Und dir geht es nicht gut. Ich finde, das ist er dir schuldig.«
    »Meinst du?«
    »Schon allein wegen Korfu.«
    Elvira nahm das Feuerzeug vom Tisch und steckte Konis Brief in Brand.
    Das Auftauchen von Thomas Koch in der Tannenstraße erregte Aufsehen. Sein Chauffeur fuhr den mitternachtsblauen Mercedes 600 SEL mit zwei Rädern auf das Trottoir und half Thomas aus dem Fond. Die Hilfe war nicht nur ein Ritual, der Chef war heute nicht ganz sicher auf den Beinen. Dabei war es noch früh am Nachmittag.
    Ein paar türkische Kinder mit farbigen Schultaschen auf dem Rücken blieben stehen und schauten sich das Auto an. Das Tram fuhr etwas langsamer, und die Gesichter an den Fenstern drehten sich zur Limousine, die so gar nicht in diese Gegend paßte. »Wahrscheinlich einer von diesen Immobilienhaien, die ihre Abbruchbuden zu Wucherpreisen an die Nutten vermieten«, erklärte ein junger Mann seiner Freundin.
    An einem Fenster im ersten Stock lehnte eine alte Frau. Sie hatte ein Kissen aufs Sims gelegt und stützte ihre schweren Unterarme darauf.
    »Zu wem wollen Sie?« rief sie Thomas Koch zu, als sie sah, daß er zum zweiten Mal klingelte.
    »Lang.«
    »Den sieht man hier kaum mehr. Holt nur noch ab und zu die Post.«
    »Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
    »Vielleicht weiß es der Hauswart.«
    Thomas Koch drückte auf die Klingel und wartete.
    »Sie müssen lange klingeln. Der hat Nachtschicht.«
    Nach einer Weile bewegte sich im zweiten Stock ein Vorhang. Kurz darauf surrte der Türöffner. Thomas Koch ging hinein.
    Othmar Bruhin, der Stapelfahrer in einer Montagehalle der Koch-Werke war und Hauswart in dieser Liegenschaft, die der Pensionskasse der Koch-Werke gehörte, sollte die Geschichte immer und immer wieder erzählen: Wie er direkt aus dem Bett, unrasiert und im Trainingsanzug die Tür öffnet, und da steht – »ich verreck, der Koch höchstpersönlich« – und will die Adresse von einem Mieter. »Und, wenn ihr mich fragt, eine Fahne hatte der auch.«
    Als sich Thomas Koch vom Chauffeur wieder in den Wagen helfen ließ, nannte er ihm die Adresse von Rosemarie Haug.
    Konrad saß mit Rosemarie auf der Terrasse und spielte Backgammon, als es klingelte. Er hatte ihr das Spiel auf ihrer Italienreise beigebracht, und sie spielten es seither leidenschaftlich. Teils wegen Rosemaries Ehrgeiz, denn sie hatte ihn noch nie schlagen können, teils aus Sentimentalität, denn es hielt die Erinnerungen an ihre erste gemeinsame Reise wach.
    Rosemarie stand auf und ging an die Gegensprechanlage. Als sie zurückkam, war sie verwundert.
    »Thomas Koch. Ob du hier seist.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Ja. Er kommt rauf.«
    Fast sein ganzes Leben lang war Thomas die wichtigste Figur in Konrads Leben gewesen. Aber in letzter Zeit war er mehr und mehr in den Hintergrund getreten. In Venedig hatte er sich zwar an ihn erinnert. Aber die Berichterstattung über Urs’ Hochzeit hatte er mit überraschend wenig Interesse verfolgt. Doch jetzt, wo Thomas jeden Moment durch die Tür treten würde, war er nervös. Er fühlte sich, wie er sich immer gefühlt hatte, wenn Thomas in der Nähe war: wie ein Rekrut vor der Inspektion durch den Schulkommandanten.
    Rosemarie bemerkte die Veränderung. »Hätte ich sagen sollen, du seist nicht hier?« erkundigte sie sich, nur halb amüsiert.
    »Nein, natürlich nicht.«
    Sie gingen zur Wohnungstür. Draußen hörte

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